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Es ist ein im wahrsten Sinne des Wortes einschneidendes Ereignis: Von der einen auf die andere Sekunde ist die Kleinstadt Chester's Mill von einer riesenhaften durchsichtigen Kuppel bedeckt und damit von der Außenwelt abgeschottet. Das führt zu teilweise grotesken Szenen: Ein Waldmurmeltier, das sich genau an der Grenze befand, zerfällt in zwei Teile. Eine Frau, die ihre Hand genau dorthin ausstreckte, wo auf einmal die Barriere niedergeht, wird verstümmelt und verblutet. Ein Flugzeug kracht gegen die unsichtbare Kuppel und explodiert. Ein mit Baumstämmen beladener Laster rast gegen das Hindernis – ein Inferno, aber nichts im Vergleich zu dem, was noch kommen soll. Die Außenwelt ist ratlos. Was ist die Kuppel, woraus besteht sie, und vor allem wer hat sie bewirkt? Aliens oder Terroristen scheinen naheliegende Lösungen zu sein, aber alle Überlegungen und Versuche, die Kuppel zu durchdringen und den eingeschlossenen Bewohnern zu Hilfe zu eilen, erweisen sich als nutzlos.
Unter der Kuppel, dem "Dome", sind die Einwohner von Chester's Mill auf sich gestellt. Manche sind skrupellos genug, diese neue Situation umgehend zu ihren Vorteilen zu nutzen, allen voran Big Jim Rennie, zweiter Stadtverordneter und heimlicher Herrscher über Chester's Mill. Er beginnt eine Schreckensherrschaft, rekrutiert eine private Armee aus gewaltbereiten Halbwüchsigen und bringt so innerhalb weniger Tage Tod und Chaos über die isolierte Stadt. Ziel seines Hasses ist vor allem der Ex-Soldat Dale Barbara, genannt Barbie. Der war gerade im Begriff, die Stadt zu verlassen, als der Dome plötzlich erschien, und ist nun genauso gefangen wie alle anderen. Vom Präsidenten der USA höchstpersönlich wird Barbie eingesetzt, das Kommando in der Stadt zu übernehmen – doch was nützt ein Befehl des Präsidenten, wenn niemand in die Stadt hinein und niemand heraus kann, wenn alle Streitkräfte der USA keinen Zugriff und somit auch keinen Einfluss mehr haben? So sieht sich Barbie nicht nur mit der Kuppel als Problem konfrontiert, sondern vor allem mit einer Reihe von Männern, die seinen Tod wollen …
Man nehme eine typische amerikanische Kleinstadt und schotte sie komplett von der Außenwelt ab – und lässt dann das Chaos ausbrechen. In seinem neuesten Roman, im Deutschen nicht ganz passend mit "Die Arena" betitelt, lässt Stephen King mal wieder ordentlich die Puppen tanzen und betrachtet eine Gemeinschaft unter dem Brennglas und unter unwirtlichsten Bedingungen. Klar, dass sich bereits nach wenigen Tagen Interessen und Machtverhältnisse stark verschoben haben: Die Mächtigen lechzen nach noch mehr Macht und setzen sie mit allen Mitteln durch, und das buchstäblich - vor Mord, Totschlag, Korruption, Aufwiegelung, Lüge, Vergewaltigung und weiteren Verbrechen wird hier nicht Halt gemacht. Das ist zu erwarten, wenn man Leute von der Außenwelt abschneidet und auch sonst für lebensbedrohliche Bedingungen sorgt, denn unter dem Dome, der riesenhaften, undurchdringlichen Kuppel, wird die Luft knapp, Umweltverschmutzung und Klimaveränderung machen den Bewohnern praktisch vom ersten Tag an schwer zu schaffen. Stephen King schrieb zu dem Werk in einem Interview, dass er von Anfang an beabsichtigte, mit dem Dome die Probleme zu verdeutlichen, mit denen die Menschheit bereits kämpft und in Zukunft noch weitaus mehr kämpfen wird, denn im Grunde genommen leben wir alle unter einer Kuppel. Mehr als ein Lehrstück über den Klimawandel ist "Die Arena" aber die Betrachtung einer Gesellschaft, die man aller Fluchtmöglichkeiten beraubt hat und wo auf engstem Raum die Hackordnung neu verteilt wird.
Die Einwohner der kleinen Stadt kommen dabei nicht allzu gut weg, zumindest hat man den Eindruck, King würde seine Landsleute etwas unterschätzen: Obwohl die Zwangsbewohner des Domes mehrfach einen Vergleich zu Diktaturen und Hitlerdeutschland ziehen und durch 9/11 ohnehin sensibilisiert sind, breiten sich Terror, Willkür und Polizeistaat dermaßen rasch aus, dass man als Leser manchmal etwas irritiert ist. Keiner wehrt sich hier so richtig, lediglich eine kleine Gruppe von Standhaften lehnt sich auf. Der Rest glaubt bereitwillig alles, was ihnen Big Jim Rennie auftischt. Die Unterdrückung nimmt hier Gestalt an in Form eines vermeintlich harmlosen, äußerst skrupellosen Gebrauchtwagenhändlers, der schon immer heimlich nach der Herrschaft über die Stadt gierte. Nun sieht er die Kuppel geradezu als Glücksfall an, um mit brutaler Gewalt und einer privaten Armee über die Einwohner von Chester's Mill zu herrschen. Big Jim Rennie ist natürlich schon vorher ein verabscheuungswürdiger, bigotter und verlogener Charakter, aber die Kuppel bringt seine schlimmsten Eigenschaften erst so richtig hervor. Dass die Entwicklung dabei stellenweise tatsächlich an das Dritte Reich erinnert - bis hin zu den Armbinden, die die neu eingesetzten Polizisten tragen -, lässt deutsche Leser unter Umständen eventuell etwas genervt die Augen verdrehen.
Kings neuester Wälzer, mit mehr als 1200 Seiten sein umfangreichstes Werk seit "The Stand", liest sich unglaublich flüssig und leicht und ist ein extrem spannender Pageturner. Was man King aber ankreiden kann – und vielleicht auch muss, denn Stephen King ist ohne Zweifel ein handwerklich wirklich guter Autor -, ist die Klischeehaftigkeit fast aller Charaktere. Irgendwie sind sie alle versammelt unter dem Dome, quasi als Quintessenz aller beschaulichen amerikanischen Kleinstädte: die herzensgute Besitzerin des typischen Diner (wir sind nicht erstaunt, dass sie Rose heißt), der etwas dümmliche Polizeichef, die bösartigen Jugendlichen außer Rand und Band, der hochdekorierte, rechtschaffene Ex-Soldat, die toughe und hübsche Journalistin. Alle Figuren handeln ziemlich vorhersehbar und sind eben so, wie man es erwartet: Die Bösen sind sehr böse und gemein. Sie vergewaltigen und töten, und es gibt sogar eine Großfamilie mit einer ganzen Reihe von identisch aussehenden, tumben Sprösslingen, bei deren Beschreibung man an "Beim Sterben ist jeder der Erste" denken muss. Die Guten sind entweder sehr tapfer, entschlossen und moralisch integer oder aber ziemlich naiv, so dass sie gleich reihenweise den Bösen zum Opfer fallen.
All das klingt aber etwas schlimmer, als es tatsächlich ist – wer sich nicht an den recht stereotypen Charakteren stört, die den Dome bevölkern, der wird beim Lesen verdammt viel Spaß haben. Es ist ein bisschen, als käme man nach Hause, denn wie üblich spielt das Geschehen in dem magischen Dreieck fiktiver Städte wie Tarker Mill's, Castle Rock und Derry - alles Orte, die aus anderen King-Romane bereits lieb und teuer geworden sind. Man glaubt fast, das Städtchen Chester's Mill bereits zu kennen, und lässt sich gerne in die Welt der wirklich zahlreichen Handelnden einführen (am Anfang des Buches gibt es eine Übersicht der meisten Personen, die zumindest zu Beginn wirklich hilfreich ist). Das Ende, die Auflösung dessen, was hinter der merkwürdigen Kuppel steht, ist durchaus überraschend und bis es soweit ist, wird die Gemeinschaft von Chester's Mill stark dezimiert, sehr zur Freude oder zum Entsetzen des Lesers, je nachdem, wie morbide man veranlagt ist. Vor allem die Einzelschicksale der unter der Kuppel Eingesperrten gehen wirklich ans Herz und bisweilen auch an die Nieren, denn wie üblich ist auch dieser Roman recht brutal geraten, er ist aber kein King-typisches Horrorwerk und auch nicht im eigentlichen Sinne phantastisch.
"Die Arena" ist ein großartiges, sehr spannendes und unterhaltsames Buch mit einer genialen Ausgangsposition. Wer übrigens glaubt, Stephen King hätte sich hier bei dem Szenario aus dem Simpsons-Film bedient – denn auch Springfield verschwindet dort unter einer Kuppel -, der irrt sich. King hat das Buch bereits in den 1970er Jahren begonnen, der Entwurf landete aber erst mal in der Schublade, weil der Autor sich damals der Geschichte noch nicht ganz gewachsen fühlte. Zum Glück wurde diese Idee noch mal ausgepackt und sehr unterhaltsam und mitreißend zu Ende gebracht, auch wenn die eine oder andere Plattheit ruhig herausgekürzt hätte werden können.