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 Die Armen

Fotografien zwischen Akt und Porträt

Autoren: Helmut Ziegler
Illustratoren: Martin Eder
Übersetzer: Paul Aston
Verlag: Prestel

Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Bildqualität
Preis - Leistungs - Verhältnis


Aktfotografie hat viele Facetten. Meist geht es darum, einen Körper möglichst schön und begehrenswert darzustellen: Zum einen bringt man nach wie vor Kunst und Schönheit in Verbindung, zum anderen gilt, je schöner, desto sexier, und "sex sells".
Martin Eder schert sich diesbezüglich nicht um Konventionen. In den über 120 Aktfotos, die 2006 zur Ausstellung "Die Armen" gehörten, porträtiert er höchst unterschiedliche Frauen, deren einzige Gemeinsamkeit vermutlich ist, dass wir ihnen tagtäglich auf der Straße begegnen könnten. Sie sind im besten Sinne gewöhnlich - und doch ganz individuelle Persönlichkeiten, wie der Fotograf herausstellt.
Vor einem schwarzen Hintergrund präsentieren sich junge, vereinzelt auch nicht mehr junge Frauen mit vom Leben oder exzentrischen Persönlichkeiten gezeichneten Körpern, die der durch Modejournale vorgegebenen Form so gar nicht ähneln: hier sind es ein paar Pfunde zu viel, dort erschlafftes Bindegewebe, unreine Haut, vernarbte Unterarme, Intimpiercings oder extreme Magerkeit, Zeichen totaler Erschöpfung. Die Frauen stellen sich in unterschiedlichen Situationen vor, mal ungeschminkt und scheinbar spontan abgebildet, mal zusammengekauert, depressiv und nachdenklich, mal masturbierend, während der Betrachter es wagt, von den Postern im Hintergrund oder anderen Accessoires auf die Träume der sich streichelnden Frau zu schließen.
Während sich einige Frauen in ihren Posen dem Betrachter (oder dem Partner ihrer Träume?) regelrecht anbieten, beobachten wir als Voyeure andere beim Ausmalen ihrer Fantasien, lassen uns faszinieren von der Großaufnahme eines Details - der silbrigen Träne auf einer weiblichen Brust - und werden Zeugen von namenlosen Schicksalen, etwa der Frau, die sich, am Boden liegend mit einem leeren Glas neben sich, lächelnd einem … ja, was? einem Traum? einer Erinnerung? einer Hoffnung? hingibt.
Im Mittelteil des Buchs findet man ein ausführliches Interview mit dem Künstler, sowohl in deutscher als auch in englischer Sprache, das einen guten Eindruck von Martin Eders Intentionen vermittelt und zudem einen Einblick in dessen Arbeit ermöglicht.

Eigentlich gilt Martin Eder als Meister des Kitsches. Man verbindet Installationen und Ölbilder mit seinem Schaffen, nicht aber die Fotografie. Doch der Künstler zeigt mit "Die Armen", dass er sich weiterentwickelt hat.
Den Titel der Ausstellung und des Buchs mag der Leser interpretieren: Sind die dargestellten Frauen nun materiell arm, worauf zerrissene Strümpfe und andere Details hinweisen, oder einfach nur arm dran? Sie präsentieren sich häufig scheinbar schwach und sehr verletzlich, und doch lassen sich ein Bewusstsein von verbliebener Kraft und Würde beobachten. Manchmal ist die körperliche Nacktheit nur angedeutet, etwa beim Porträt einer verloren und unglücklich dreinblickenden aparten jungen Frau - nackt wirkt sie dennoch durch die offene Zurschaustellung ihres Schmerzes. Nackt wirken auch andere nur angedeutete Akte, so das Profil mit verletztem Auge und mangelhaft übertünchten Blessuren im Gesicht. Stimmungen werden durch die wenigen eingesetzten Farben unterstrichen.
Ob man dies nun als Pornografie empfindet oder als offene Darstellung einer Persönlichkeit, sei dem Leser und vor allem dem Betrachter selbst überlassen. So manches Foto mag erregend wirken, in manchen treten die Protagonistinnen masochistisch auf, was sicherlich manchem Besitzer des Buchs gefallen mag, in manchen provozieren sie, in anderen bleibt der Betrachtende außen vor und kann allenfalls versuchen, sich als Gegenstand des Traumes der Frau oder Erlöser anzusehen.
Vor allem Frauen, denen der hochwertig aufgemachte Band nicht minder als Männern zu empfehlen ist, werden sich selbst in vielen Porträts wieder erkennen. Einen Teil der abgebildeten Lebensstationen durchläuft jede Frau: Trauer, Einsamkeit, Verlorensein, die Zuwendung zum eigenen Körper, der vermutlich als defizitär empfunden wird, Hoffnung, Flucht in Träumereien.
Martin Eder bildet seine Modelle so ab, wie sie sich selbst verstehen oder verstehen möchten - wie auch eine Persönlichkeit immer von Realität und Wünschen geprägt ist. Schön im klassischen Sinne sind die meisten von ihnen nicht, doch sie fesseln die Aufmerksamkeit des Betrachters durch ihren intensiven Ausdruck.
Ein bemerkenswertes, durchaus in Teilen verstörendes Buch, das aus den als Modellen fungierenden ganz "gewöhnlichen" Frauen die Essenz ihres Seins herausholt. Oder auch mehrere Essenzen, denn welche Frau lässt sich schon in eine Schablone pressen?

Regina Károlyi



Hardcover | Erschienen: 01. Mai 2008 | ISBN: 9783791340272 | Preis: 39,95 Euro | 124 Seiten | Sprache: Deutsch, Englisch

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