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Dieser Winter ist kälter als alles, was die Menschen in Pilowo je erlebt haben. Es ist bereits der 4. März 1927 und vom Frühling gibt es noch keine Spur. Ganz im Gegenteil, es wird immer noch kälter und weiterer Schnee kündigt sich an. Sogar die Wölfe hungern in den Wäldern der sibirischen Taiga. Sie finden keine Nahrung mehr und beschließen, sich dem Menschendorf zu nähern. Dort gibt es genug zu fressen, man muss nur in die festen Höhlen dieser nackten Bären kommen.
Es wird schon dunkel, als Milan von der Jagd nach Hause kommt. Er hat einen fetten Braten über die Schulter geworfen. Doch sein Vater Michail, seine Schwester Nadja und seine Mutter sind entsetzt, als sie sehen, was ihr Milan da geschossen hat. Es ist ein kleiner Wolf. Wölfe isst man nicht, man jagt sie, man tötet sie, aber man isst sie niemals.
Doch die Mutter nimmt sich seufzend des Kadavers an, häutet ihn und macht daraus ein schönes Gulasch. Wenn das tote Tier schon mal hier ist, sollte man es nicht verkommen lassen, zumal die Nahrungsvorräte knapp werden und der Winter kein Ende nimmt. Nachbar Wassja, der für sein krankes Kind etwas Essen erbittet, bemerkt einen Knochen in der Suppe und ist entsetzt. Er erkennt, dass weder ein Hase noch ein Stück Schweinefleisch aus der Konserve in diesem Gulasch steckt, sondern ein Wolf.
Als noch am selben Tag Wassjas kleine Minka verschwindet und nur eine Mütze am Dorfrand gefunden wird, erzählt er allen Dorfbewohnern von der Untat Milans und beschwört die Rache der Wölfe herauf. Und wie um seine Worte wahr werden zu lassen, belagern wenig später an die siebzig Wölfe das Dorf. Erst holen sie sich die Hunde der Menschen, dann jeden Menschen, der seine Hütte verlässt. Und immer noch wird es kälter, es schneit und Hilfe ist nicht in Sicht. Nur Kolja, der in Nadja verliebte Junge der nächsten größeren Stadt, erreicht das einsame Dorf.
Eine seltsame Geschichte hat Martin Baltscheit da ersonnen. Er lässt jeden zu Wort kommen. Den Wolfsmörder, den Vater, die Tochter, den Gast, die Wölfe und die Zweifler. Er schildert, angelehnt an eine wahre Begebenheit aus Sibirien, was sich in dem einsamen Dorf zugetragen haben könnte. Dabei vergisst er nicht, den Standpunkt der Wölfe, die nicht nur unter der Kälte und dem Hunger, sondern auch unter der Grausamkeit der Menschen zu leiden haben, zu beleuchten. Er lässt sie den Plan fassen, jeden einzelnen Dorfbewohner zu fressen, um zu überleben. Eine aus ihrer Sicht sinnvolle, logische und nachvollziehbare Handlungsweise.
Auch die Menschen werden in ihrer Not ohne Rührseligkeit, immer auf Realismus und die vermeintlich wahren Begebenheiten gerichtet, beobachtet. Ohne zu werten, ohne über Wölfe oder Menschen zu richten, schildert Baltscheit, was Todesangst und Aberglauben, Hunger und Kälte, aber auch Hoffnung und Überlebenswillen aus Menschen (und Tieren) machen können.
Fasziniert folgt der Leser diesem kurzen, knappen und sehr schlicht gehaltenen Bericht. Jedes einzelne Wort nimmt man dem Autor ab, nichts scheint erfunden oder hinzugedichtet worden zu sein. Auch die wenigen Aussagen der Wölfe, ihre Handlungen und Taten erscheinen nicht grausam oder böse, sondern einfach nur auf das eigene Überleben gerichtet zu sein.
Dabei kommt man vor atemloser Spannung kaum auf den Gedanken, eine Pause einzulegen. Nach kaum einer Stunde hat man das abrupte und fast surreale Ende der Erzählung erreicht und seufzt tief betroffen auf. Diese Geschichte ist wirklich packend und unbedingt zu empfehlen - auch wenn zartere Gemüter entsetzt sein werden über die Vorgänge in dem kleinen sibirischen Dorf.
Die einzige große Enttäuschung dieses Buches sind die Bilder von Aljoscha Blau. Sie sind mit Ausnahme des sehr schönen und die Situation gut wiedergebenden Titelbildes eher nichtssagend. Es sind unscharfe Skizzen und wenig akzentuierte Zeichnungen, die kaum des Betrachtens oder Verweilens wert sind. Kaum blickt man von dem fesselnden Text auf, um sie kurz anzusehen - und ebenso schnell wieder zu vergessen.