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Zwei Gestrandete treffen in Florenz aufeinander: die alleinstehende, gut vierzigjährige Sylvia, deren Arbeitsplatz überflüssig wurde, weshalb sie deprimiert ihre Abfindung für einen Europa-Urlaub aufwendet, und Henry, der sich mit dem Geld seiner Ehefrau amüsiert, während sie auf irgendeinem "Trip" ist, aber immer damit rechnen muss, von ihr zurückgerufen zu werden.
Es entwickelt sich eine leidenschaftliche Liebesbeziehung, die jedoch sehr an eine Flucht erinnert; zusammen hasten die beiden von einem Ziel zum anderen kreuz und quer durch Europa, dabei einander etappenweise ihre Lebensgeschichten und jene der ihnen nahe stehenden Personen schildernd. Zwischendurch fassen Henry und Sylvia vage Pläne für eine gemeinsame Zukunft, die allerdings nie über wenige Sätze, kurze Überlegungen hinausgehen.
Und so endet der Roman, wie es der Anfang bereits anzeigt:
"Dies ist die Geschichte von Henry und mir. Ich wünschte, sie hätte ein anderes Ende.
Sie hat einen guten Anfang."
Ein Liebesroman? Vermutlich. Aber kein klassischer. Die Liebe erweist sich in dieser Geschichte als ein flüchtiges Gut, intensiv, leidenschaftlich ausgekostet und dann doch der Bequemlichkeit geopfert.
Auch dient die Liebesgeschichte zwischen der Ich-Erzählerin Sylvia in ihrer Lebenskrise und dem Materialisten Henry, der sich für sein von finanziellen Sorgen befreites Leben zum willfährigen Abhängigen seiner schwerreichen Ehefrau macht, im Grunde vor allem als Rahmen oder roter Faden für eine Reihe weiterer Geschichten, die sämtlich dieselbe Prämisse haben: Wer handelt, macht vielleicht Fehler; wer gar nicht erst handelt, macht den größten Fehler.
Und so kommen auch die weiteren Geschichten zum Schluss des Romans zu ihrem Ende, das jeweils ebenfalls schon von Anfang an bekannt ist, doch die letzten Wendungen überraschen und erschrecken. Denn die Scheu vor einem großen, einschneidenden Schritt, dessen Konsequenzen nicht sämtlich voraussehbar sind, dürfte jeder Leser bereits erlebt – und nicht immer überwunden – haben.
Während der Leser Sylvia und ihre exzentrische jüdisch-amerikanische Familie sowie ihre nicht minder ungewöhnliche beste Freundin gut kennen lernt, bleibt der Charakter Henry ein wenig vage. Das mag gewollt sein, Henry war ein Adoptivkind; dennoch fällt es dem Leser schwer zu verstehen, worin genau Henrys Anziehungskraft auf Sylvia besteht, außer, dass er wie sie ein Getriebener, ein Entwurzelter ist und dass sie viel und guten Sex haben.
Binnie Kirshenbaum lässt den Leser von einem Handlungsstrang zum nächsten gleiten, nicht hektisch, sondern in nachvollziehbaren Übergängen, sie flicht überraschende Assoziationen ein, die mit Humor gewürzt sind, der nicht selten die Grenze zum Zynismus überschreitet. Überhaupt findet sich viel Ironie, bisweilen auch pechschwarzer Sarkasmus, in dem Buch, das dennoch einen wohldosierten Oberton von Warmherzigkeit besitzt, die der von Anfang an zu spürenden Resignation entgegenwirkt. Zudem versteht es die Autorin ausgezeichnet, den Zauber von Orten und Stimmungen zu vermitteln.
Oberflächlich gelesen wirkt der Roman wie eine eher seichte Liebesgeschichte mit einigen Nebenhandlungssträngen. Schaut man genauer hin, so offenbaren sich eine erstaunliche Vielschichtigkeit und beachtlicher Tiefgang – und einiges an Lebensweisheit.