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Das Schicksal meint es nicht gut mit Tomás: Innerhalb von wenigen Tagen versterben sowohl sein Vater als auch seine Frau Dora und sein Sohn Gaspar. Doch als sein Leben den Sinn verloren zu haben scheint, findet der als Hilfskurator tätige Tomás in einem Archiv das Tagebuch eines Paters, der als Sklavenpriester in der portugiesischen Kolonie São Tomé tätig war. Neben seinen Eindrücken beschreibt der Pater darin auch eine eigentümliche religiöse Skulptur, die das Interesse von Tomás weckt. Nachdem seine Recherchen ergeben, dass sich diese in den Hohen Bergen Portugals befinden muss, macht sich Tomás im Spätdezember des Jahres 1904 mit dem Automobil seines Onkels auf den Weg in die entlegene Region im Nordosten Portugals. So beginnt eine abenteuerliche Reise, die mit einem Unglück endet, welches Jahrzehnte später noch die Gemüter bewegt.
Er schließt die Augen. Er sucht Zuflucht in Afrika, in den Wassern vor der westlichen Äquatorküste, auf der portugiesischen Inselkolonie São Tomé. Sein Kummer sucht nach dem Mann, der ihn in die Hohen Berge Portugals führt.
Yann Martels neuer Roman kommt im wahrsten Sinne des Wortes schwer in Fahrt. Denn für seine Reise in die "Hohen Berge Portugals" hat sich Tomás, die Hauptfigur im ersten Teil des Buches, die "Kutsche der Zukunft", ein Automobil, von seinem Onkel ausgeliehen. Und damit hat er so allerhand Start- und anderweitige Probleme. Doch ihm - und somit auch dem Leser - bleibt nichts anderes übrig, als sich damit anzufreunden, denn nur so kann er seine "Mission" erfüllen. Für den Leser bedeutet dies eine Mischung aus skurrilen Situationen - wenn er beispielsweise sein "metallenes Ross" nach einem bedrohlichen Ruck nach vorn ausschimpft, um die Schaulustigen zu besänftigen - und langatmigen Erklärungen - wenn der Onkel von Tomás sich genötigt sieht, selbst die Funktionsweise des Lenkrads zu erklären. Sind diese gut 150 Seiten überwunden, entfalten sich im zweiten und dritten Teil scheinbar zwei ganz andere Geschichten - zumal die beiden Teile drei beziehungsweise acht Jahrzehnte später angesiedelt sind. Zunehmend zeigt sich jedoch, dass diese in raffinierter Art und Weise in Beziehung zueinanderstehen. Im Mittelpunkt steht hier zum einen der in Bragança tätige Pathologe Eusebio Lozora sowie zum anderen der kanadische Senatsabgeordnete Peter Tovy, der sich nach dem Tod seiner Frau Clara in die Heimat seiner Vorfahren von Ottawa in die Hohen Berge Portugals aufmacht. Ähnlich wie bei seinem Vorgängerroman "Schiffbuch mit Tiger" spielt auch hier eine Tierfigur eine besondere Rolle, denn der 62-jährige Tovy wird seine Reise - unverständlicherweise für alle - in Begleitung des Schimpansen Odo.
Die Anmut des Affen hatte es ihm angetan, und seither kann er nicht mehr einfach nur ein Mensch sein. Ja, Liebe ist das richtige Wort
Braucht der Leser im zweiten Teil zu Beginn, als sich Eusebio Lozora Frau über viele Seiten im Stile eines Predigers oder gar wie in einer theologischen Abhandlung in religiösen Ergüssen ergibt, ebenfalls Geduld, so nimmt der Roman mit dem Erscheinen einer Witwe aus einem kleinen Dorf in den "Hohen Bergen Portugals" handlungsmäßig Fahrt auf - zumal die immer wieder auftauchenden religiösen Anspielungen allmählich immer mehr Sinn ergeben. Überlesen sollten Leser diese in keinem Fall, steckt doch hier vielleicht die Anleitung, wie Martels Roman zu lesen ist:
Ein Gleichnis ist eine Allegorie in Gestalt einer einfachen Geschichte. Es ist ein Koffer, den wir aufklappen müssen, auspacken, damit wir sehen, was darin ist.
Nun gut, ganz so einfach ist Martels Geschichte nicht, aber wer sich die Mühe macht, diese zu durchdringen, der wird in der Geschichte einen tieferen Sinn erfahren. Oder wie Martel es in seiner bildhaften Sprache ausdrückt:
Eine Geschichte ist eine Hochzeit bei der wir – die Zuhörer – der Bräutigam sind, der verfolgt, wie die Braut ihm über die ganze Länge der Kirche entgegenkommt. Gemeinsam schließen sie den Bund, und so entsteht die Geschichte.
Insbesondere im zweiten Teil, als die Witwe aus den Hohen Bergen der Autopsie ihres Ehemannes beiwohnt, erhält der Roman nicht nur fantastische Züge, sondern es steigt schließlich auch der Ekelfaktor. Unweigerlich fühlt sich hier der Leser an den Ekel in Gottfried Benns Gedicht "Kleine Aster" erinnert, da Martel "hautnah" beschreibt, wie der Pathologe im Verlauf allerlei Gegenstände aus der Leiche seziert. Trotz des ungewöhnlichen Reisebegleiters gibt sich der dritte Teil des Romans zunächst deutlich realistischer, auch sprachlich fährt Martel hier seine bildhafte Ausdrucksweise zurück. Stattdessen erlebt der Leser, wie Tovys Reise von der Zivilisation in ein verkommenes Haus in einem portugiesischen Dorf zur Erfüllung seines Lebens wird.
FAZIT: Dieser Roman von Yann Martel ist im wahrsten Sinne des Wortes eine echte Offenbarung. Kunstvoll arrangiert er drei scheinbar unzusammenhängende Geschichten, die am Ende in die "Erlösung" münden.
Weitere Informationen zum Buch sowie eine Leseprobe finden sich auf der Webseite des Verlags.