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Napoleon ruft im Jahr 1812 zum Feldzug gegen Russland aus. Für seinen Traum von einem vereinten Europa sammeln sich unzählige Soldaten. Auch in Württemberg, in Stuttgart, wird mobil gemacht. Jeder einsatzfähige Mann hat seinen Dienst zu leisten und muss zum Gewehr greifen. Für die Marketenderin Juliane Assenheimer klingt dies wie ein Ruf nach Reichtum. Denn wenn sie die Lizenz erhält, mit dem Soldatentrupp mitzureisen, kann sie unterwegs ihre Waren zu hohen Preisen losschlagen und wird als reiche Frau wieder nach Stuttgart zurückkehren. Auch wenn sie es sich nicht eingestehen will, ist ihr eigentlicher Grund aber der, dass sie dadurch dem Leutnant Johannes Gertner näher sein kann als bisher. Aus gelegentlichen Einkäufen entstand zwischen den beiden eine enge Freundschaft. Nie hätte die stolze Juliane zugegeben, dass er für sie mehr ist als nur ein Freund. Schon allein der Standesunterschied verhindert jeglichen weiteren Gedanken daran.
Als sich dann die Stadt mit immer mehr Soldaten füllt, wird auch der Umgangston der Soldaten rauer, als sie es gewohnt ist. Aus praktischer Überlegung willigt sie schließlich in die Ehe mit dem Korporal Matthäus Schreiber ein. Er ist ein liebenswerter, gutherziger Mann, der sie schon seit einiger Zeit verehrt. An ihm hat sie einen guten Kameraden und seine Anwesenheit würde die anderen Soldaten von Grobheiten abhalten. Die erste Zeit des Feldzuges macht die burschikose Marketenderin auch noch gute Geschäfte. Doch als die Armee und Russland einmarschiert, beginnt eine Zeit der Verzweiflung. Die Russen haben sich zurückgezogen und lediglich verbrannte Erde übrig gelassen. Vorräte sind schwer zu beschaffen und so schleppen sich die ersten Soldaten bald müde vor Hunger voran. Als die ersten sterben, ist es noch ein weiter Weg nach Moskau. Schon bald führt die verzweifelte Lage zu unmenschlichen Verhaltensweisen. Denn nicht der Feind, sondern Hunger und Durst drohen Napoleons Heer zu vernichten.
In aller Härte werden in diesem Roman die Entbehrungen des Russlandfeldzuges geschildert. Verzweifelte Soldaten reißen gestürzten Pferden das rohe Fleisch von den Knochen, Freunde duellieren sich wegen eines warmen Schlafplatzes oder wegen eines Kanten Brotes. Der Hunger beherrscht das allgemeine Denken und lässt die dünne Hülle der Zivilisation zerbrechen. Der Leser wird von all dem Elend tief erschüttert, da er im Innersten weiß, dass er selbst nicht anders handeln würde. Die Hauptfiguren Juliane, Johannes und Matthäus, die eng befreundet sind, stehen beispielhaft für viele andere, die litten und starben. An ihnen wird exemplarisch aufgezeigt, welchen Wandel ein Mensch durch solche und vergleichbare Ereignisse durchlebt. Sehr detailliert erlebt der Leser hier hautnah Geschichte, ohne durch kalte Fakten gelangweilt zu werden.
Einzig die Liebe zwischen der selbstbewussten Marketenderin und dem Leutnant, der hinter jedem Rock her ist, passt nicht ganz ins Bild. Dass diese praktisch denkende Frau so verzweifelt einer unmöglichen Liebe hinterher rennt und damit ihre Ehe und Freundschaft aufs Spiel setzt, passt nicht zu dem Charakter. In Zeiten von Hunger und Not wird man kaum viele Gedanken an romantische Gefühle verschwenden. Vor allen Dingen die Szene, als die beiden inmitten von Eis und Schnee zusammenfinden, während die Notbrücken mit Hunderten Flüchtigen zerschossen werden und auf allen Seiten die russischen Soldaten näher rücken, wirkt absurd.
"Die Marketenderin" ist ein gut recherchierter, packender historischer Roman. Fakten und Erzählung vereinen sich zu einem stimmigen Bild. Der Krieg wird ungeschönt dargestellt, frei von jeglichem Heroismus und Pathos. Das einzig Störende ist die eingeschobene Liebesgeschichte. Sie wirkt, als wollte man durch diese Romanze besonders die Frauen als Leser ansprechen. Doch auch ohne diese Liebe kann man sich gut mit der Hauptfigur identifizieren, so dass es besser gewesen wäre, auf dieses Beiwerk zu verzichten. So bleibt einem aber nur, über diesen kleinen Makel hinwegzusehen und dafür den Rest umso mehr zu genießen.