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Jessie Sulivan ist 42 Jahre alt und steckt in einer Art Midlife-Crisis - sie fühlt sich seit längerer Zeit rastlos, und nicht einmal die künstlerische Arbeit in ihrem Atelier oder das geliebte Haus in South Carolina können sie darüber hinweg trösten, dass sie eigentlich stets im Schatten ihres attraktiven, intelligenten Mannes steht. Ein unvorhergesehener Anruf in aller Frühe ändert alles: Jessies Patentante teilt ihr mit, dass Jessies Mutter Nell sich einen Finger abgeschnitten hat, anscheinend in religiösem Wahn. Obwohl Jessie kein gutes Verhältnis zu ihrer Mutter hat, macht sie sich auf den Weg nach Egret Island, der kleinen Insel, auf der ihre Mutter lebt und wo sie selbst aufgewachsen ist. Auf Egret Island angekommen erkennt Jessie langsam, dass der Besuch bei der Mutter eine willkommene Reise in ihr eigenes Ich darstellt. Endlich kann sie Abstand gewinnen von ihrem festgefahrenen Leben Zuhause, kann sich eine Auszeit von ihrem Mann nehmen - und darüber hinaus ein lange gehegtes dunkles Familiengeheimnis aufdecken, das mit dem Tod ihres Vaters zusammenhängt.
Das Haus ihrer Mutter liegt unmittelbar neben einem Kloster. Jessie verliebt sich in den Mönch Thomas, der kurz vor seinem ewigen Gelübde steht. Die beiden beginnen eine leidenschaftliche Liebesaffäre; Jessie glaubt, ihren Seelenverwandten gefunden zu haben. Sie erwägt, Hugh zu verlassen. Da verstümmelt Nell sich zum zweiten Mal und Jessie erfährt endlich, warum ihre Mutter dies tut
Die Autorin Sue Monk Kidd legte mit ihrem ersten Roman "Die Bienenhüterin" einen Geheimtipp vor, der schließlich verdientermaßen zum Bestseller avancierte. Mit "Die Meerfrau" kann Kidd an diesen Erfolg nicht anknüpfen. Zwar sind direkte Vergleiche von Romanen nicht ganz fair, doch hier drängt sich der Vergleich ein wenig auf, da einige Parallelen bestehen. Ebenso wie Lily, die Protagonistin aus "Die Bienenhüterin", schlägt sich auch Jessie Sulivan seit Jahren mit der Schuld herum, den Tod eines Elternteils, in diesem Fall des Vaters, verschuldet zu haben. Wiederkehrende Elemente beider Geschichten sind Madonnenfiguren und Frauenfreundschaften, Spiritualität und Leute, die auf der Suche nach sich selbst sind. Die Gemeinschaft der Inselfrauen lässt sich atmosphärisch durchaus vergleichen mit der Schilderung der drei Schwestern aus "Die Bienenhüterin".
Was jedoch als Coming-of-Age-Geschichte in "Die Bienenhüterin" funktionierte, was durch und durch spannend und bezaubernd war, wirkt in "Die Meerfrau" leider trotz einer guten Ausgangssituation weniger gelungen, vor allem aber viel weniger bedeutsam. Die Gedanken der Ich-Erzählerin Jessie Sulivan, ihre Sehnsucht nach Liebe und Freiheit wirken teilweise leider ziemlich schwülstig und gekünstelt. Man kann sich bei allem Bemühen nur schwer einfühlen in diese Frau, die an einem Scheideweg ihres Lebens steht, denn ihre Gedanken und Tagträume sind geprägt von schnulzigen Formulierungen und einer gewissen Weltfremdheit. Die Liebesgeschichte zwischen Jessie und dem Mönch Thomas wirkt dadurch vor allem sprachlich kitschig. Einige Kritikpunkte können auch daher rühren, dass das Hörbuch eine gekürzte Lesefassung der Romanvorlage darstellt. Hübsch und gelungen ist immerhin die Beschreibung von Natur, Menschen und der herrschenden Stimmung auf Egret Island.
Ein Hörbuch steht und fällt mit der Lesung, und bei dieser Produktion führt die Sprecherin Claudia Michelsen leider zu einer Abwertung der Geschichte. Auf dem Cover wird ihre Stimme als "ausdrucksstark und gefühlvoll" gelobt, dem ist hier aber nicht wirklich zuzustimmen. Zum einen hat Michelsen keinerlei klare Aussprache, sondern spricht teils in flüster-ähnlichem Ton, teils mit stark zischenden s-Lauten. Irritierend wirkt auch, dass sie den Namen von Jessies Ehemann Hugh stets falsch ausspricht, so dass er "Juug" statt "Juuh" klingt. Gerade die gefühlvollen Stellen des Romans - und von denen gibt es Zuhauf - sind in dieser Lesung eher misslungen, weil Claudia Michelsen jeden Satz mit ihrer sehr tiefen Sprechweise dermaßen nach unten zieht, dass der Hörgenuss bald gestört ist. Egal welche Stimmung herrscht, ob traurig, nachdenklich, wütend, seltener einmal ausgelassen - die Sprechweise ist stets gleich drückend und spröde. Insgesamt scheint diese Art zu sprechen zu der Figur Jessie Sulivans zu passen, da sie selbst keine lebendige, mitreißende Figur ist - für die Aufmerksamkeit des Zuhörers ist diese Sprechstimme aber tödlich. Unangenehm fallen auch kleine Sprechpausen auf, die Michelsen manchmal an falschen Stellen einlegt.
Eine extrem gefühlsbetonte Romanvorlage, die nicht an den Vorgänger "Die Bienenhüterin" heranreicht. Die Wiederholung von Motiven, die man aus dem außergewöhnlichen Roman "Die Bienenhüterin" kennt, wirkt hier leider stellenweise sehr gezielt, so als wollte die Autorin um jeden Preis an die Stimmung des Vorgängers anknüpfen. Die Protagonistin Jessie Sulivan nervt rasch, weil sie sich pausenlos in sentimental-gestelzten Gedankengängen ergeht. Wahrscheinlich muss man für dieses Hörbuch in der richtigen Stimmung sein - wer Liebes- und Selbstfindungsgeschichten mit einem Hang zur Schnulze gerne mag, kann der "Meerfrau" sicherlich trotzdem etwas abgewinnen.