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Manchmal gibt es Bücher oder, wie in diesem Fall, Hörbücher, die es schaffen, etwas ungewöhnlicher zu sein. Und das mit eigentlich ganz einfachen Mitteln. "Die Mitte der Welt" ist ein Jugendbuch, eine Geschichte des Erwachsenwerdens, die an Tabus rührt, Fragen von Schuld berührt und nie auch nur ein bisschen oberlehrerhaft daherkommt.
Phil und Dianne wachsen irgendwo in Deutschland auf, in einem kleinen Schloss "Visible", das ihre Mutter Glass geerbt hat. Die hat die Zwillinge schon mit 18 bekommen, und niemand auf der anderen Seite der Flüsschens, auf der die Stadt liegt, kann das so recht in Ordnung finden. Glass arbeitet bei ihrer besten Freundin Theresa, einer Anwältin, die ebenfalls mit den Kleinbürgern so ihre Schwierigkeit hat, lebt sie doch mit einer weiteren Frau zusammen. Theresa ist für Phil genauso eine Bezugsperson wie Gable, ein entfernter Verwandter, ein Seemann, der immer mal wieder vorbeischaut und den Zwillingen Geschenke mitbringt.
Phil ist inzwischen 16 und steht auf Jungs, hat mit Kat(ja) eine beste Freundin und spricht kaum noch mit Dianne, die sich immer mehr von ihm entfernt hat. Alles wird anders, als Nicolas neu in die Schule kommt, ein älterer Junge, in den Phil sich sofort verliebt. Tatsächlich gibt es auch einen Rausch der Körper, aber auch eine schwierige Beziehung.
"Die Mitte der Welt" ist ein preisgekröntes Buch, und das sicherlich zu Recht. Einerseits wird zwar an Dramaturgie gespart, auch Spannung klopft allenfalls mal an die Hintertür, aber trotzdem muss man unbedingt weiterhören, nicht weil Andreas Steinhöfel die Tricks der Spannungsproduktion bemüht, sondern weil auch eine spannungsarme Geschichte nicht mehr aus dem Kopf geht, wenn es denn eine gute ist. Langsam aber sicher kommt der Hörer nicht mehr aus dem Kopf von Phil heraus. Hofft mit ihm, rätselt mit ihm, liebt und hasst mit ihm. Und da ist es wirklich völlig egal, dass es sich hier um einen homosexuellen Jungen handelt - das Buch ist kein Problembuch, sondern ein gutes.
Sex kommt vor, niemals pornografisch, aber auch nicht rotgesichtig verschämt. Und das ist bei dieser Altersklasse ja auch genau richtig. Die Jugendlichen, die Literatur über ihre Generation lesen, wollen ja auch darüber etwas erfahren, wollen ja besonders darüber etwas erfahren.
Rufus Beck ist der bekannteste Vorleser des deutschsprachigen Raumes, aber oft auch eine Reizfigur, denn er bestimmt schon sehr stark die Atmosphäre des von ihm gelesenen Buches. "Die Mitte der Welt" mag davon durchaus profitieren, schafft er es doch, dem Buch eine Atmosphäre einzuhauchen, die immer ein bisschen gefährlich ist, die immer ein bisschen in der Schwebe ist. Das klingt nicht immer sympathisch, fesselt aber ungemein. Außerdem hält sich Beck relativ stark zurück, fast ungewohnt stark, was in Anbetracht des feinen Buches sicherlich eine richtige Entscheidung ist.
Andreas Steinhöfel kann nicht nur die Gedanken der Jugendlichen verstehen, die er hier beschreibt, er kann auch ungewöhnlich gut mit Worten umgehen. Dabei ist es sicherlich gewöhnungsbedürftig, dass er im Präsens erzählt, nur in Flashbacks auch in die sprachliche Vergangenheit ausweicht, andererseits unterstreicht das eben diese Rückschauen auch.
Ja, dieses Hörbuch lohnt sich wirklich. Ein feines, intelligentes Buch, eine gute Lesung und mit Sicherheit nicht nur was für homosexuelle Jungs.