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 Die Vorbereitung des Romans

Vorlesung am Collège de France 1978-1979 und 1979-1980


Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Preis - Leistungs - Verhältnis


Nach dem Tode Roland Barthes sind - sehr viel später - die Vorlesungen erschienen, die er am Collège de France gehalten hat. Mit Die Vorbereitung des Romans liegt seine letzte Vorlesung vor. Hierbei handelt es sich um eine Folgevorlesung, deren ersten Teil Vom Leben zum Werk er vortragen konnte. Am 26. März 1980, also in der freien Zeit zwischen den Vorlesungen, starb Barthes, nachdem er von einem Auto erfasst worden war. So ist der zweite Teil, Das Werk als Wille, nie gehalten worden. Als Gesamtes aber konzipiert konnte es nun trotzdem veröffentlicht werden.
Flankiert wurden die erste Vorlesung durch eine Vorlesung zur Metapher des Labyrinthes; die zweite Vorlesung sollte ein intimeres Seminar zur Seite gestellt bekommen, in der es um Photographien von Prousts Bekannten gehen sollte.
Worum dreht sich diese Vorlesungsfolge? Sie untersucht, wie aus einem Leben sich ein Werk destilliert. Keineswegs geht es um Schreibtechniken im üblichen Sinne, obwohl Barthes mehrfach auf die Technik als Teil der Ästhetik anspielt. Aber Barthes interessiert sich nicht für ein kaltes Zurechtschneiden eines Romanstoffes, sondern für Figuren. Figuren sind bei Barthes nicht Personen aus dem Roman, sondern zeitlich begrenzte Bewegungen: voller Ungeduld warten ist zum Beispiel eine solche Figur, oder den Schreibtisch aufräumen - bei Wittgenstein findet man ein ebenso unglückliches, ähnliches Wort: den Lebensstil. Dieser bezeichnet den Zusammenhang von einem Sprachspiel und einem Handeln "vor Ort", ebenso wie bei Barthes Figuren lokal bleiben und an die Bewegungen des Körpers gebunden sind.
Barthes wählt in seiner Vorlesung einen Ausgangspunkt und ein Endziel, dessen Zusammentreffen man ein wenig ungläubig gegenüber steht: auf der einen Seite das Haiku, jenes strenge japanische Gedicht aus siebzehn Silben, auf der anderen Seite Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, einen der umfangreichsten Romane, die jemals geschrieben wurden. Nichtsdestotrotz gibt es ein Scharnier zwischen diesen beiden Formen: den Willen zum Schreiben.

Die Figuren ermöglichen es Barthes, wie in seinem gesamten Spätwerk, auf der einen Seite scharf zu analysieren, auf der anderen Seite sich aber ganz zurückzunehmen. Immer wieder betont er, dass seine Figuren nur Figuren unter vielen möglichen sind. Sieht man von seiner Lust ab, dem Schreibwillen auf die Spur zu kommen, führt er vor allem eine Methode vor, die man - Barthes hätte wohl diesen Ausdruck als zu selbstgefällig abgelehnt - eine Methode des offenen Denkens bezeichnen könnte. Diese Art des Schreibens gibt sich wenn auch nicht widersprüchlich, so doch sperrig. Barthes hat in seiner Antrittsvorlesung am Collège de France die Sprache als faschistisch gebrandmarkt, und als faschistisch all jenes bezeichnet, was uns auf eine bestimmte Art und Weise sprechen macht. So stürmt er dann auch gegen die Grenzen der Sprache an, sondiert die Schwachstellen, die Bollwerke, die heimlichen Durchschlüpfe und die imaginären Trampelpfade: doch vielleicht in diesem Werk zum Roman noch am wenigsten. Von den drei Vorlesungen ist dieses Buch ruhig, bietet kein hastiges Durcheilen des Stoffes, sondern weist mit langem Atem von dem momenthaften Erscheinen eines Haikus bis hin zu den Jahren, in denen Proust sein Hauptwerk schrieb.

Das spontane Aufflammen der Inspiration, das könnte man als Leitthema der ersten Vorlesung sehen. Das Umarbeiten der Inspiration in einem enormen Text, das ist das Leitthema der zweiten Vorlesung. Beides - Aufflammen und Umarbeiten - wird durch eine tägliche Praxis und ein Sich-Reiben an Regeln getragen. Die Vorlesung zum Haiku ist eine stärker linguistisch gefasste Analyse. Zwar streut Barthes die Phänomene des Haikus in alle Richtungen aus, zieht die Teezeremonie ebenso heran wie die japanische Höflichkeit oder das "Schießen" der Fotografie; und kommt damit natürlich immer wieder zu kulturhistorischen Themen zurück. Doch die zweite Vorlesung ist viel stärker von gesellschaftlichen Analysen geprägt: In drei (Selbst-)Prüfungen entfernt sich der Dichter aus der Gesellschaft, um das, was er zuvor erlebt hat, auf Distanz zu bringen und in Schrift zu gießen.
Noch einmal findet man hier den Duktus des großen französischen Denkers, seine enorme Belesenheit, seinen eigenwilligen Stil. Sperrig soll dieses Buch sein, und trotzdem ist es von tiefgründiger Schönheit. In jedem Satz spürt man, dass Barthes liebt, worüber er schreibt, und dass er diese Liebe mit einer so erhellenden wie zärtlichen Analyse umwebt. In der Vorlesung zum Neutrum schrieb er, das Prinzip des Zartgefühls bestünde darin, im Genuss des Analysierens das Erwartete zu unterlaufen. Dieses Zartgefühl zeigt Barthes: analytisch ist er auf jeden Fall, aber diese Analyse wird eingesetzt, um das bisher Gedachte und Gewusste umzudrehen.
Eines aber kann er ganz gewiss: ohne zu vereinfachen, greift er die Mühen, Zweifel und Ängste eines Schriftstellers auf, das Hochgefühl, den Rausch und die Manie, der Sturz, das Brüten, die Imagination, das Entfremden, und vieles anderes. La Préparation du Roman, wie der Titel im Französischen lautet: das heißt auch, im kulinarischen Sinne gelesen, Die Zubereitung des Romans. Neben der inhaltlichen Darstellung und der Einübung einer offenen Methode bietet diese Vorlesung also eine dritte Lehre an: der Reflexion des eigenen Schreibverhaltens. Dies ist keine Therapie für Schreibblockaden. Trotzdem wirkt das Buch befreiend. Eine enorme Aufgabe, so scheint es; Barthes löst sie elegant und wie beiläufig.

Wie alle Bücher Barthes’ ist also auch dieses Buch ein großes Werk. Wäre unser Denken von der Schriftstellerei nicht so vom Geniekult geprägt, mit all seiner Arroganz und all seiner Anmaßung, könnte man hier ein wirkliches Kleinod der Schreibpraxis entdecken, einer Schreibpraxis, die das ganze dichterische Leben meint, und nicht nur eine abgegrenzte Verordnung guter Ratschläge.

Frederik Weitz



Taschenbuch | Erschienen: 01. Januar 2008 | ISBN: 9783518125298 | Originaltitel: La Préparation du Roman (I et II) | Preis: 18,00 Euro | 570 Seiten | Sprache: Deutsch

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