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Der zwölfjährige Ren wächst in dem kirchlich geführten Waisenhaus Saint Anthony in New England bei Mönchen auf. Den Traum von den Eltern, die eines Tages kommen und ihn adoptieren werden, hat er beinahe aufgegeben, denn Ren fehlt die linke Hand - und wer will schon einen Krüppel haben? Doch eines Tages kommt tatsächlich ein Mann namens Benjamin Nab nach Saint Anthony, der Ren mitnehmen will. Und noch mehr: Der Mann behauptet, Rens lange verschollener Bruder zu sein und zu wissen, was mit seinen Eltern geschehen ist und wie er seine Hand verloren hat.
Am Anfang gibt Ren sich der wunderbaren Hoffnung hin, dass Benjamin wirklich sein Bruder ist, doch dann findet der Junge sich in einer ihm gänzlich fremden Welt wieder, deren Teil er gezwungenermaßen wird: Benjamin ist ein gewiefter Trickbetrüger, der sich gemeinsam mit seinem Kumpel Tom mit kleinen und großen Verbrechen mehr schlecht als recht durchschlägt. Durch Rens Behinderung hoffen die beiden Männer nun auf eine Glücksträhne, denn die Menschen haben Mitleid mit dem Jungen ohne Hand und stecken ihm bereitwillig Münzen zu.
Für Ren beginnt ein sonderbarer, skurriler und oft beschwerlicher Weg, auf dem er zum Leichenräuber wird, einen Zwerg und einen Riesen kennenlernt, eine Reihe von gefährlichen Abenteuern erlebt - und am Ende tatsächlich Aufschluss darüber gewinnt, wer er ist und woher er kommt, und vor allem: was mit seiner linken Hand passiert ist.
"Die linke Hand" ist der Debütroman von Hannah Tinti, der im Original zunächst unter dem Titel "Resurrection Men" und dann unter "The Good Thief" erschien und der mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde. Die Geschichte erinnert stark an eine literarische Mischung aus Charles Dickens und Mark Twain, und allein deshalb ist es ein Vergnügen, sie zu lesen. Während der Anfang im Waisenhaus und Rens Werdegang als Dieb und kleiner Trickbetrüger doch ziemlich an Oliver Twist erinnern - auch wenn Ren in Saint Anthony nicht ganz so arg leiden muss wie Oliver -, erinnert der weitere Verlauf eher an eine Mischung aus Huckleberry Finns und Tom Sawyers berühmten Abenteuern. Ren macht merkwürdige Bekanntschaften, zweifelt mehr als einmal an seinem "Bruder" und dessen Rechtschaffenheit und macht vor allen Dingen die Erfahrung, dass die Welt sehr, sehr gewalttätig ist. Der Roman besitzt ein recht hohes Maß an Brutalität, die aber nicht wirklich im Mittelpunkt steht, sondern die Handelnden wie beiläufig umgibt und sie immer wieder einholt, was gut in die von Armut geprägte Zeit hineinpasst, in der der Roman spielt.
"Die linke Hand" ist unterhaltsam, interessant geschrieben und originell, wenn auch nicht immer ganz glaubwürdig; der Roman besitzt außerdem einen für den Leser wirklich befriedigenden Clou am Ende. Die zahlreichen skurrilen Figuren, von dem "Toten Mann" über einen Zwerg, der auf den Dächern der Stadt lebt, bin hin zur hart-aber-herzlichen Haushälterin, die nicht normal sprechen, sondern nur schreien kann, sind liebevoll und detailliert gezeichnet und passen sehr gut in die Zeit, von der Tinti erzählt. Wer Abenteuer in Mark-Twain-Manier mag, Gaunereien und düstere Machenschaften, dem wird "Die linke Hand" sicher sehr gefallen.