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Smithy sitzt im Garten und trinkt. Er wiegt 279 Pfund, ist 178 Zentimeter groß und 42 Jahre alt. Außer Pop und Mom hat er niemanden in der Welt. Der Polizist, der durch den Garten auf ihn zukommt schaut ihn nicht an, scheint sich unwohl zu fühlen. Seine Eltern seien verunglückt, er solle mitkommen. Beide sind tot, weg, so wie Bethany eines Tages weg war. Nicht verschwunden, das sagten sie nie, nur weg.
Norma ist angefahren worden. Sie liegt mit ihren zehn Jahren in dem riesigen Krankenhausbett und wirkt sehr blass. Smithy und Bethany stehen an ihrem Bett und weinen. Norma wird nie wieder gehen können, nie wieder hinter Hook, so nennt sie Smithy, weil er so furchtbar dünn ist, herlaufen. Und ab sofort besucht Smithy sie nicht mehr.Nach der Beerdigung seiner Eltern trinkt Smithy. Er isst und trinkt wie immer. Denkt nicht nach, liest nicht, handelt nicht, lässt sich treiben. Reagiert wie immer, agiert nicht. Der amtlich aussehende Brief auf der Anrichte im Haus seiner Eltern kommt aus Los Angeles und ist an seinen Pop adressiert. Er öffnet ihn. Sie haben Bethany, seine lange verschwundene Schwester, identifiziert. Die Zahnunterlagen, die Pop seit Jahren an hunderte Orte in den USA geschickt hat, konnten der Leiche in den Kühlkammern des Leichenschauhauses zugeordnet werden. Bethany ist also tot.
Bethany spricht wieder mit der Stimme, die nur sie hören kann. Sie zieht all ihre Sachen aus und verharrt in einer Pose. Sie strahlt völlige Stille aus. Eine Ruhe und Stille, die Hook so wundervoll friedlich empfindet. Er liebt seine Schwester und versteht nicht, wie die anderen sie für verrückt halten können. Bethany hört diese Stimme wirklich, da ist er sich sicher. Und immer, wenn sie diese Stimme fortführt von ihnen, sucht er sie. Suchen Pop, Mom und er sie, bis sie Bethany wiederhaben. Immer finden sie Bethany, immer ist sie so schön und so friedlich, wie nur Bethany sein kann.Smithy geht in die Garage und schaut sich um. Hier riecht es gut. Nach seinem Pop und der Vergangenheit. Da hängt sein altes Fahrrad. Er nimmt es herunter und setzt sich mit seinem fetten Arsch darauf. Er muss schrecklich aussehen. Ein kahl werdender, 42-jähriger Mann, der nichts kann außer fernsehen, Brezel fressen, Bier trinken und in die Gegend starren. Er rollt die Straße herunter. Als er wieder zu sich kommt, liegt er im Gras, scheint gestürzt zu sein und vor allem sein fetter Hintern tut ihm weh. Er sieht sich um und ist zu seinem maßlosen Erstaunen über dreißig Meilen von zu Hause fort. Hier hat er als Kind immer Forellen gefangen. Wie ist er nur hier hin gekommen?
Smithy betritt den Laden, in dem Bethany arbeitet. Alle Kunden drängen sich hinten im Laden zusammen und scheinen aufgeregt. Smithy nähert sich und sieht einen Polizisten auf seiner Schwester knien. Sie ist blutüberströmt. Ihr Gesicht, ihr wunderschönes, blasses, stilles Gesicht ist voller bis auf den Knochen gehenden Scharten und Schnitte. Sie hat sich zerkratzt und ihre Haare ausgerissen. "Oh, Hook" sagt sie, als sie ihn sieht. Es ist wieder Bethany, seine Bethany.Smithy setzt sich auf sein Rad und fährt die Straße herunter. Er ruft Norma an. Norma, die er seit dem Unfall in ihrer Kindheit nie besucht hat. Die in ihrem Rollstuhl im Nachbarhaus sitzt und ihn durch das Fenster ansieht, wegsieht. Norma, die immer hinter ihm hergelaufen war. Er hat einen Entschluss gefasst und muss ihn Norma mitteilen. Er weiß nicht warum, aber zum ersten Mal in seinem Leben nach der Armee und seiner Verwundung in Vietnam, lässt er die Dinge nicht einfach geschehen, sondern entschließt sich, etwas zu tun. Norma weint, als sie seine Stimme hört. "Ich fahre nach Los Angeles, zu Bethany", sagt er zu ihr. Von East-Providence, New York nach Los Angeles.
Dieses Hörbuch verdankt seine Existenz einer hymnischen Kritik von Stephen King. Er lästerte ausführlich über das Gebaren einiger Verleger, die verhindert hatten, dass man Ron McLartys Werk lesen konnte. Denn nach zahlreichen Absagen war es als Hörbuch - oder besser gesagt als downloadbarer Hörbuchstream im Internet - verbreitet worden und King zu Ohren gekommen. So wurde "Die unglaubliche Reise des Smithy Ide" zu einem Bestseller, zunächst als Hörbuchstream, dann als Buch und nun als neu produziertes Hörbuch.
Zunächst fällt die Stimme des in Deutschland als Fernsehkommissar bekannt gewordenen Jürgen Tarrach auf. Er spricht den Smithy so, als wäre er es. Von Anfang an hat man das Gefühl dem Bericht dieses zunächst fetten, gelangweilten und sich treiben lassenden Amerikaners zu lauschen. Mit einer coolen Lässigkeit und beeindruckender Nonchalance trägt Tarrach dieses komplizierte Gemisch aus Bericht, Rückblenden, Betrachtungen, Gedankenassoziationen und Beobachtungen vor. Außer der teils nervigen Angewohnheit des Autors wirklich jeden Straßennamen, Ortsteil und Markennamen noch jeder Bier- Whiskey- und Fressalie immer wieder zu nennen, gefällt der Anfang durch seine Alltäglichkeit, seine ruhig Art Dinge zu beschreiben und die sich von vielen Hörbüchern abhebende Ereignislosigkeit der Geschichte. Eigentlich passiert fast nichts. Smithy lebt vor sich hin. Seine Eltern sterben, er betrinkt sich. Doch dann passiert das einzige, das ihn aus seiner lebenslangen Lethargie herausreißen kann: Seine "irre" Schwester Bethany, vor Jahren verschwunden, liegt tot in einem Leichenschauhaus in Los Angeles. Er nimmt sich sein altes Jugendrad und fährt los. Fett, faul und antriebslos wie er ist. Und es wird eine Reise, die er und der Zuhörer nicht mehr vergessen wird.
Warum? Das ist schwer zu beschreiben, man muss es sich anhören. Zunächst ist es die absurde Situation, die fesselt. Mehr und mehr aber sind es die schlichten und einfachen Sätze McLartys, die begeistern. Seine Weisheiten sind einfach, die Menschen, die er beschreibt alltäglich. Aber er vermittelt ein Bild des modernen Amerikas, das man so nicht kennt. Er vermittelt den Optimismus, der jedem einzelnen Menschen inne wohnt, vermittelt ein Bild des einfachen Menschen, der, egal was auch immer passiert, positiv lebt und die Hoffnung nicht verliert. McLarty gelingt es, mit den Augen seines "Helden" Smithy Ide, auf die Dinge zu achten, auf die es jedem Menschen ankommen sollte: einen Sonnenuntergang, ein Schluck Wasser, wenn man Durst hat, ein nettes Wort zu einem Menschen, den man mag oder auch nicht mag, sich nicht treiben lassen, sondern handeln.
Das Hörbuch ist nicht spannend, die Geschichte plätschert ruhig vor sich hin und strebt einem zu erwartenden Ende entgegen. Aber man will sie zu Ende hören, will hören, was Smithy erlebt, wie er die Dinge sieht, was ihn zu einem anderen Menschen macht.
Fazit: Dieses Hörbuch ist fantastisch. Es ist nicht spannend, aber nie langweilig, es ist geschwätzig aber nie pathetisch, es ist ruhig und verhalten, aber regt zum Nachdenken an. Smithy ist kein Held im eigentlichen Sinne und eher unsympathisch, wächst dem Hörer aber ans Herz und je länger seine Reise dauert, desto mehr mag man ihn und möchte ihn nicht mehr missen.
Gelegentlich nerven zwar die Rückblenden, aber nicht, weil sie nicht ebenso faszinieren würden, sondern weil sie nicht kenntlich gemacht sind und immer erst eine Weile vergeht, bis man die entsprechende Szene einzuordnen weiß. Die zufällige Anordnung, die zusammenhanglose Schilderung von Vergangenem und Gegenwärtigen ist teils anstrengend, teils nervig. Hat man sich aber innerlich darauf eingestellt, ist es fast so, als würde Tarrach abwechselnd zwei Bücher vortragen, eins aus der Vergangenheit von Smithy, als seine Welt noch in Ordnung war und eins aus der Gegenwart, in der er erst mühsam wieder eine Ordnung finden muss.