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Der vierzehnjährige Christopher steht ständig im Schatten seines älteren Bruders Arne, der gutaussehend, intelligent, sportlich und hilfsbereit ist. Trotzdem vermisst Christopher Arne, als dieser beschließt, nach Nepal zu reisen, um seine Wurzeln zu ergründen, denn die Großmutter der beiden Jungen war Nepalesin.
Einige Wochen später erhält Arnes Familie die Nachricht, dass der junge Mann verschwunden sei und vermutlich von den rebellischen Maoisten in die Berge entführt wurde. Christophers Eltern erleiden einen Schock, nur er selbst scheint die Ruhe zu bewahren - bis er kurz darauf im fernen Nepal aufwacht.
Währenddessen wird in Nepal die Geschichte eines ganz anderen Jungen erzählt - auch er wird von niemandem beachtet, jedoch nicht, weil er in jemandes Schatten steht, sondern weil er unsichtbar geboren wurde. Es handelt sich hierbei um Jumar, den Thronfolger Nepals. Wegen dieses "Geburtsfehlers" weiß kaum jemand in Nepal von der Existenz des Königssohnes, lediglich die Diener im Palast kennen den unsichtbaren Prinzen, und diese werden zum Schweigen gezwungen. Jumars Mutter verfiel nach der Geburt in einen Schlaf, aus dem sie seither nicht wieder aufgewacht ist und auch sein Vater, der König, hat den Sinn für die Realität und den Bezug zur Welt außerhalb des Palastes verloren. So merkt er auch nichts von der Unzufriedenheit des Volkes und den aufständischen Kommunisten. Doch Jumar bemerkt es und er will alles verändern. So verschwindet er unbemerkt aus dem Palast.
Als Jumar in eine Falle im Wald tappt, trifft er auf Christopher, der ihn befreit. Die beiden tun sich zusammen und gehen auf die Suche nach den Rebellen. Dabei begegnen ihnen Schrecken in vielfältiger Form: Zum einen die Drachen, die die Farben von den Feldern und Dörfern fressen und Menschen in Bronzestatuen verwandeln, zum anderen die Schrecken des Bürgerkrieges. Auf ihrer langen Reise merken die beiden Jungen, das eine Einteilung in "gut" und "böse" nicht immer so einfach ist und letztendlich müssen sie schwierige Entscheidungen treffen, um an ihre Ziele zu gelangen.
Bei dem Titel "Drachen der Finsternis" drängt sich vermutlich so manchem Leser die Assoziation eines mittelalterlichen Settings auf, in dem ein heroischer Ritter gegen die sagenumwobenen Riesenechsen kämpft. Doch mit einem solchen Szenario hat das Jugendbuch kaum etwas gemein. Zwar stellen sich Jumar und Christopher den Drachen entgegen, doch diese fantastische Komponente steht eher im Hintergrund.
Denn Antonia Michaelis hat kein konventionelles Fantasybuch geschaffen. Sie verbindet sehr subtil Wahrheit und Fiktion und scheut sich nicht, die Sinnlosigkeit und Grausamkeit des Krieges zu thematisieren. Dabei gibt die Autorin Einblick in ganz verschiedene, beteiligte Parteien: Die aufständischen Maoisten, die Monarchen, die einfachen Bürger. Auf diese Weise kann sich der Leser selbst ein Urteil bilden, was die Motive der Handelnden betrifft und wird von Michaelis nur sehr dezent in die eine oder andere Richtung gelenkt. Weiterhin bleibt es dem Leser überlassen, sich zu fragen, ob Christopher tatsächlich in physischer Gestalt in Nepal war, denn auch hier verweigert die Autorin eine klare Aussage.
Die Protagonisten Jumar und Christopher sind eigentlich grundverschieden und dennoch beide auf ihre eigene Art sympathisch. Man kommt nicht umhin, mit ihnen zu leiden und um sie zu bangen. Dies liegt auch daran, dass es sich hier um zwei überaus plastische und vielschichtige Charaktere handelt, in denen junge, männliche Leser Identifikationsfiguren finden können. Allerdings muss man sich doch so manches Mal fragen, ob die jungen Figuren nicht doch zu erwachsen handeln und mit den Geschehnissen umgehen.
Die Sprache, die Antonia Michaelis verwendet, hebt sich deutlich aus dem Groß der Jugendfantasy heraus. Die Autorin versteht es perfekt, nicht nur durch den Inhalt der Geschichte zu berühren, sondern Emotionen auch mittels der intensiven Sprache zu transportieren, die oft märchenhaft und dann wiederum sehr nüchtern daherkommt. Besonders die Atmosphäre Nepals, des bunten Urwalds, wie auch des bedrohlichen Kommunistenlagers, wird anschaulich beschrieben.
Alles in allem wird dem Leser hier ein Jugendbuch geboten, dass ein spannender Abenteuer- und Märchenroman ist, aber viele kontroverse Themen behandelt, die den Leser auch dann noch zum Nachdenken anregen, wenn er den Buchdeckel längst zugeklappt hat.