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 Draußen

Unter Obdachlosen, bei Kriminellen, auf dem Arbeitsstrich - ein Selbstversuch jenseits der Gesellschaft


Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Preis - Leistungs - Verhältnis
"Draußen" in Bezug auf unsere Gesellschaft sind viele, und die meisten von ihnen nimmt "Otto Normalverbraucher" gar nicht wahr. Er sieht bisweilen einen Obdachlosen, der ihm womöglich den Moment verschandelt, wenn er ergriffen aus der Oper kommt; mit einer "schwarz" angestellten Putzfrau und dem einen oder anderen Niedriglöhner mag er zu tun haben, ohne sie wirklich als Teile einer Grauzone zu realisieren; der Tagelöhnermarkt und illegale Einwanderer bleiben für ihn im Allgemeinen unsichtbar. Behinderte Menschen mögen die Randgruppe sein, die wir am häufigsten zur Kenntnis nehmen – sei es, weil wir uns über die vielen leeren Behindertenparkplätze ärgern oder als Bahnreisende über den Rollstuhlfahrer, um dessentwillen wir das Herunterfahren der Rampe abwarten müssen.

Das hier besprochene Buch präsentiert Reportagen beziehungsweise Ausschnitte aus Reportagen von engagierten Journalisten, die das Leben und Elend einiger derer, die "draußen" sind, am eigenen Leib kennen lernen wollten, vorübergehend, und dies auch umsetzten.
Günter Wallraffs beeindruckender und weithin bekannt gewordener Bericht über die Obdachlosigkeit und den Schrecken in den für Wohnungslose vorgesehenen Heimen ist nur ein Aspekt davon (das Buch enthält noch weitere Kapitel zur Obdachlosigkeit). Fast schon wie ein Klassiker, Schullektüre, wirkt die Reportage des viel zu früh verstorbenen Michael Holzach, der 1982 zu Fuß, ohne Geld und erst recht ohne Kreditkarte die Bundesrepublik von Nord nach Süd durchwanderte.
Özlem Gezer hat sich Schleusern und ihrer Fracht angeschlossen, Sebastian Pantel hat die Realität der Hartz-IV-Empfänger am eigenen Leib erlebt, mehrere Beiträge befassen sich mit den alltäglichen Schikanen im Niedriglohn- und Schwarzmarktsektor. Behinderungen und das Leben mit einer elektronischen Fußfessel sind weitere Themen.

Wallraff kennt man. Ihn liebt oder hasst man, das hängt von mehreren Faktoren ab. Die anderen Autoren des Buchs dürften viele Leser nicht kennen, was aber nicht heißt, dass ihre Reportagen bedeutungslos seien – im Gegenteil!
Der Selbstversuch eines bürgerlich aufgewachsenen, saturierten Journalisten kann natürlich nie 1:1 die Realität abbilden, in der wir es mit brutalen Schicksalsschlägen, mit psychischen Erkrankungen, die oft über Jahre gewachsen sind, mit massiven Süchten und nicht so selten auch mit einem zumindest quantitativ ansehnlichen Vorstrafenregister zu tun haben. Jeder Mensch, der über den Rand der Gesellschaft kippt, hat eine individuelle Vorgeschichte, die sich nicht nachstellen lässt. Gespräche mit Betroffenen, wie sie die Rezensentin aus verschiedenen Gründen oft geführt hat, und die auch jedem Mitbürger mit "sozialem Bewusstsein" wärmstens zu empfehlen sind, zeigen letztlich die Grenzen solcher Reportagen auf.
Diese können somit wohl weniger in die Psyche der Betroffenen einführen, aber vor allem einen Eindruck davon vermitteln, wie die Abläufe sind und, zuvörderst, wie die eigentliche, die "gesunde", die – um es provokativ auszudrücken – teigfett satte Gesellschaft auf die Außenseiter reagiert. Eine Putzfrau Franziska, die in Österreich Stellen ausgeschlagen bekommt, weil sie Österreicherin ist (hier drängt sich der Begriff der "Herrenrasse" auf!) oder, spielt sie die Ausländerin, drangsaliert und schikaniert wird, natürlich die Wohnheime, in denen ein Günter Wallraff Todesängste ausgestanden hat, ohne dass sich ein Sozialarbeiter verantwortlich fühlte, die recht grobe Abweisung eines "Obdachlosenpärchens" ausgerechnet auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung in einer der reichsten Städte Deutschlands, die tausend absurden und rücksichtslosen Forderungen wohlbetuchter Reisender an ein überlastetes Zimmermädchen im Hotel. Die Erfahrung einer plötzlichen Behinderung, etwa den nicht einmal ungewöhnlichen Riss der Achillessehne im Urlaub. Eine Parallelwelt von Schleusern, Geschleusten und schließlich Illegalen.
Unmittelbar, ungeschönt, dabei jedoch ohne Pathos kommen die Berichte daher. Sie zielen nicht auf billige "Betroffenheit", sondern die Autoren möchten nachhaltig das Klima in unserer Gesellschaft ändern. Das Buch sensibilisiert, es zeigt Schicksale auf, wie sie im gängigen Journalismus nur sehr selten auftauchen, es hält aber "uns drinnen" auch einen Spiegel vor, den wir vielleicht nicht so gern mögen.
Abschaffen kann die Lektüre des Buchs das Elend nicht, selbst dann nicht, wenn es, was zu wünschen wäre, ein Bestseller würde. Es kann aber unsere Haltung gegenüber Menschen am Rand der Gesellschaft ändern. Vielleicht fragen wir unsere (ausländische!) Putzfrau einfach mal nach ihrer Familie in der Heimat. Unbedingt sollten wir dem Verkäufer einer Obdachlosenzeitung, sofern er seriös ist, nicht nur Geld geben, sondern die Zeitung mitnehmen und auch lesen (es lohnt sich meist). Und ihm einen guten Tag wünschen. Wenn wir unseren aufs Abstellgleis geratenen Mitbürgern den ihnen schon per Menschenrecht zustehenden Respekt erweisen, tun wir ihnen Gutes. Was wir sonst noch tun können, sagt uns unsere Intuition oder auch einschlägige Literatur und das Internet.
Ein Buch, das solche Denkanstöße liefert, kann nur unbedingt empfohlen werden, auch wenn es natürlich nicht alle Bereiche jenseits der eigentlichen Gesellschaft abzudecken vermag.

Eine Leseprobe findet man auf der Verlagsseite zum Buch.

Regina Károlyi



Hardcover | Erschienen: 30. November 2012 | ISBN: 9783868813357 | Preis: 19,99 Euro | 208 Seiten | Sprache: Deutsch

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