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"Durchgeknallt" - oder "Girl, interrupted", wie es im Original heißt - ist das, was man einen autobiografischen Roman nennt. Susanna Kaysen, die Autorin, hat es geschrieben und einen Abschnitt ihres eigenen Lebens zu einem Roman verarbeitet. Ein weiterer deutscher Titel des Buches lautet "Seelensprung", aber man hat es umbenannt, als es als Buch zum Film erschien.
Die Verfilmung hatte ziemlichen Erfolg, war mit namhaften Schauspielerinnen besetzt und die Buchauflage wurde erneuert - ein Buch zum Film übrigens, das es in Amerika tatsächlich in die Beststellerlisten schaffte.
Susanna Kaysen lebt in Massachusetts und hat zwei Romane veröffentlicht. Um vielleicht einen kleinen Einblick aus dem Buch selbst zu übernehmen, war es aber immer schon ihr Traum zu schreiben, Autorin zu sein, denn dies nimmt auch in Buch und Film "Durchgeknallt" einigen Raum ein.
Schon beim Cover gefällt das Buch, denn es ist optisch für jedermann ansprechend, gerade der weiße Querbalken jedoch fügt sich wunderbar in den Originaltitel "Girl, interrupted" ein. Wie könnte man dies besser gestalten als durch einen weißen Balken mitten im Gesicht der Hauptperson? Sehr gelungen.
Das Buch selbst ist nicht nur einfach ein Roman, sondern es sind ärztliche Berichte über Kaysen eingefügt. Diese nehmen je eine Buchseite ein und auf der Parallelseite findet sich jeweils eine Übersetzung des Originals. So werden die einzelnen Erzählungen der Autorin untermauert und noch greifbarer gemacht, sind aber nicht aufdringlich und man kann sie auch ohne weiteres überschlagen, vor dem eigentlichen Roman oder danach lesen, wenn man möchte.
Susanna Kaysen wurde 1967 mit den Symptomen
"chaotisches, planloses Leben mit progressiver Dekompensation, Umkehrung des Schlafrhythmus, schwere Depressionen, Suizidgedanken, vorangeganene Suizidversuche, Versenkung in Phantasien, zunehmender Rückzug und Isolation, promiskuitiv" in das McLean Hospital, einem psychiatrischen Krankenhaus, eingewiesen.
Von diesem Zeitpunkt an lässt Kaysen den Leser an diesem Lebensabschnitt teilhaben, erzählt von ihren Gefühlen und Gedanken, wie sie die Psychiatrie als Institution, das Personal und auch die anderen "Insassen" erlebt. Sie führt den Leser mitten hinein in ein verworrenes, scheinbar paradoxes und doch so logisches Leben und belässt die 18 Monate des Klinikaufenthaltes als Zentrum des Ganzen, doch bleibt der Leser auch nicht im Dunkeln, was danach geschah, unmittelbar danach und rückblickend auf die damalige Zeit.
Die Autorin wirft mit Diagnosen nur so um sich, doch das schreckt keineswegs ab. Der Leser erfährt von den Diagnosen wie sie selbst: Unwissend und sich auf die Suche nach Erklärungen dafür machend. So lernt man Schritt für Schritt, wie sie es damals tat, im Wechsel sieht man sich einem Lexikonartikel und dann wieder ihren eigenen Gedanken und Emotionen gegenüber, was dem Ganzen in der Tat eine Erlebbarkeit gibt.
Im selben Stil lernt man auch ihre Mitpatientinnen kennen: Mal begegnet man ihnen mit Verständnis, mal mit Mitleid, dann wieder mit Abscheu oder schlussendlich mit einem Achselzucken.
Der gesamte Roman ist im Stil der Erkrankung geschrieben: Schleppend, wütend, verzweifelt, altklug, mächtig und temporeich sind Eigenschaften, die es gleichermaßen beschreiben, in einem Wechsel, der das Lesen anstrengend und doch letztlich umso authentischer werden lässt.
In der Zeit, zu der das Buch spielt, war der psychiatrische Erfahrungsschatz nicht ganz so umfassend wie heute. Gerade darum ist es interessant zu sehen, wie diese Krankheit in den 1960ern angegangen wurde, in welchem Kontext man sie sah. Auch die allgemeine psychiatrische Situation der Sechzigerjahre wird dem Leser in diesem Buch sehr deutlich gemacht (zum Beispiel die häufige Anwendung der Elektroschocktherapie).
Wer das Buch liest (oder auch den Film gesehen hat), der stellt mit Leichtigkeit fest, dass mit der Betroffenen Susanne "irgendwas nicht stimmt". Deutlich kommen Zeitsprünge, Wahnideen und auch nicht dissoziative Symptome zur Geltung. Gleichzeitig begegnet einem eine junge Frau, die einen sehr eigene Standpunkt zum Leben und zur Gesellschaft hat, die sich nicht anpassen mag und eine äußerst unkonventionelle Meinung zu den Dingen hat. Ist es "verrückt" oder "gestört", so zu sein? Weil es nicht ins Bild passt, nicht in die derzeit angesagten Werte und Normen? Dem aufmerksamen Leser bietet sich bei der Lektüre dieses Romans bereits die Frage "Krankes Mitglied der Gesellschaft? Oder krank von der Gesellschaft?" - und das wahrscheinlich, ohne bis dato Näheres über das Krankheitsbild zu wissen und ahnungslos, dass gerade der gesellschaftliche Aspekt in letzter Zeit zunehmend diskutiert wird. Umso mehr Gewicht bekommt dadurch aber an sich nur die Diskussion.
Es lohnt sich, das Buch zu lesen, ob man nun den Film kennt oder nicht, jedoch ist erwähnenswert, dass man es geschafft hat, beiden eine eigene Bedeutung zukommen zu lassen. Es gibt in beidem - Buch wie Film - Ausschnitte, die es im jeweils anderen Medium nicht gibt, jedoch bieten beide ein in sich geschlossenes und authentisches Bild und das eine muss sich vor dem anderen nicht verstecken. Auch die Schlussfolgerungen, die man aus beiden ziehen kann, sind identisch. Man hat sich hier an eine doppelte Gratwanderung gemacht: einen authentischen Bericht über eine Erkrankung und Psychiatrieerleben und zudem eine verlustfreie Verfilmung - es ist beides gelungen!
Hier treffen Psychiatriegeschichte, Psychiatrieerleben, Autobiografie, gesellschaftlicher Appell, Aufarbeitung eines Lebens beziehungsweise einer Jugend und Aufklärungsarbeit aufeinander und nichts kommt dabei zu kurz.
Die Autorin selbst hat ihre Beweggründe zum Buch und dessen Inhalt sehr gut beschrieben. Da heißt es gleich zu Anfang:
"Die Leute fragen: Wie bist du da reingekommen? Was sie eigentlich wissen wollen ist, ob sie möglicherweise auch da drin landen werden. Die eigentliche Frage kann ich nicht beantworten. Ich kann nur sagen: Es ist leicht."