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 Ein anderes Leben

Autoren: Per Olov Enquist
Übersetzer: Wolfgang Butt
Verlag: Hanser Verlag

Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Gefühl
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Per Olov Enquist gehört zu den bedeutendsten schwedischen Autoren. Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt, ebenso seine Theaterstücke. Während seines Studiums in Uppsala wohnt er mit Lars Gustafson, der ebenfalls ein bedeutender Schriftsteller Schwedens werden sollte, zusammen, schreibt Rezensionen und träumt von einer Karriere als Hochspringer. Während seiner Studienzeit wird auch sein erster Roman veröffentlicht, „Kristallögat“, danach arbeitet er vor allem als Journalist, hält sich Anfang der Siebziger Jahre für ein Jahr in West-Berlin auf, übernimmt eine Gastprofessur an der UCLA und geht mit seiner Familie nach Los Angelos. Ende der Siebziger lässt er sich von seiner Frau scheiden und wohnt mit seiner neuen Frau fortan in Dänemark, zwischenzeitlich auch zwei Jahre in Paris. Hier wird auch seine Alkoholabhängigkeit, an der er beinahe zugrunde geht, offensichtlicher. 1990 schließlich beginnt er ein neues, anderes Leben, in dem er sich nicht trockener Alkoholiker nennt, sondern Totalabstinenzler. Schließlich war er einst eingeschriebenes Mitglied im Heer der Hoffnung gewesen, einer Abstinenzlervereinigung für Kinder, die unter dem Vorsitz seiner Mutter stand. Dort hatte er mit acht Jahren ein lebenslanges Enthaltsamkeitsgelübde abgelegt.

„Wenn alles so gut anfing, wie konnte es dann so schlimm werden?“, fragt Enquist gegen Ende seines Buches, noch mitten in seiner Alkoholsucht steckend. Wie es anfing, erfährt man in diesem Buch, in dem man sich mit dem Autor zusammen auf die Suche nach einer Antwort begibt. Man erfährt vom Vater, der starb, als der Junge sechs Monate alt war, den Jungen aber als Reisegefährte überallhin begleitet hat, man erfährt vom Bruder, der bei der Geburt starb und ebenfalls Per-Ola hieß, was den lebenden Per-Ola zutiefst verwirrte, man erfährt, dass er immer lieb war und nichts zu beichten hatte - sodass er schließlich einmal etwas erfand, was er beichten konnte, um der Mutter eine Freude zu machen -, und man erfährt, wie er mit dem Fahrrad gegen sich selbst ein Rennen zum Abendmahl fährt, der Mutter zuliebe, und wie er immer lieb war und einer der Demütigsten im ganzen Land - auch später noch.

Enquist schreibt über sich in der dritten Person, schafft es so, Distanz zu halten, Dingen nachzuspüren und den Finger in die Wunde zu legen, ohne dass man sich als Leser genervt oder beschämt abwendet. Im Gegenteil, man meint den Autor zu spüren, der sich nicht anbiedert, nicht entschuldigt, nicht auf die konventionelle Weise selbstbeschaut, sondern gleichzeitig distanziert und involviert sein Leben betrachtet, Teile davon, diese zusammensetzt und etwas daraus macht, das man seine Geschichte, sein Leben nennen kann und das nicht immer schmerzfrei gewesen ist. Kennt man Bücher oder Stücke des Autors, wird dieses Buch sicher noch ein anderes Licht auf sie werfen. Kennt man sie nicht, ist die Autobiografie trotzdem lesenswert.

Zugegeben, man muss sich einlesen, braucht Ruhe und Muße. Enquists autobiografisches Buch ist keine leicht verdauliche Kost für zwischendurch, mit Sätzen, die man allzu flüssig lesen kann. Man muss achtsam sein, ist das Auge zu schnell, gerät man ins Stocken. Auch die Perspektive ist zu Beginn etwas befremdlich, aber bald schon ist man gefangen im Enquistschen Erzählen und alles passt schließlich zusammen: die Satzstruktur, die das Lesetempo drosselt, die langsame Annäherung des Autors an sich selbst über die dritte Person und gleichzeitig die langsame Annäherung des Lesers an den Autor.

Katja Maria Weinl



Hardcover | Erschienen: 4. März 2009 | ISBN: 9783446232709 | Originaltitel: Ett annat liv | Preis: 24,90 Euro | 543 Seiten | Sprache: Deutsch

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