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 Ein ganz gewöhnlicher Jude

Autoren: Charles Lewinsky
Regisseure: Oliver Hirschbiegel
Schauspieler: Ben Becker
Verlag: EuroVideo

Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Bildqualität
Gefühl
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Ton


Emanuel Goldfarb ist sauer. Ausgerechnet ihn bittet sein Rabbi, auf einen Brief zu antworten oder, besser noch, auf die Einladung des Lehrers Gebhardt, in seinem Unterricht als "jüdischer Mitbürger" teilzunehmen.
Dieser Herr Gebhardt, Lehrer der "Heinrich-Heine-Schule" in Berlin, hat einen sehr höflichen Brief an die Jüdische Gemeinde Berlin geschrieben und um einen Vertreter dieser Gemeinde gebeten, anlässlich einer Unterrichtsstunde über sich und sein alltägliches Leben als Jude in Deutschland zu referieren.
Doch Emanuel Goldfarb will sich nicht "als ganz gewöhnlicher Jude" vor die Schüler stellen. Er beginnt einen Brief an Herrn Gebhardt zu diktieren, in dem er Gründe für seine ablehnende Haltung nennen will.
Goldfarb, 1959, also lange nach Kriegsende, geboren, beginnt einen zunehmend wütenden Monolog mit sich zu führen. Er sucht händeringend nach Argumenten, verliert sich aber in Gefühlen, Vergangenem, Geschichten und Geschichte. Seine Abrechnung mit "den Deutschen" wird eine Anklage, wird eine Abrechnung mit sich selbst, seinem Leben, dem seiner Eltern und der jüdischen Rolle, die er von Beginn an gezwungen wurde zu spielen und die er immer noch nicht bereit ist zu spielen. Er hat seine Frau und seinen Sohn durch dieses Scheitern verloren, sein eigenes Leben dieser Verweigerung untergeordnet.
Er beginnt mehr und mehr sein Verhalten auf den Prüfstein zu stellen und versucht sich und den imaginären Zuhörern der Unterrichtsklasse etwas Unerklärbares zu erklären: Was ist "ein ganz gewöhnlicher Jude" in Deutschland?

Der Film "Ein ganz gewöhnlicher Jude" (die Originaltonspur ist auch als Hörbuch erschienen, die entsprechende Rezension finden Sie hier: Hörbuch: "Ein ganz gewöhnlicher Jude") wurde von Oliver Hirschbiegel nach dem Buch von Charles Lewinsky gedreht.
Ben Becker brilliert als ein vordergründig cholerischer, innerlich äußerst verletzlicher und dünnhäutiger Mann, den seine Eltern, die Geschichte und immer wieder seine Mitmenschen zwingen, ein typischer Jude zu sein. Fast sein ganzes Leben hat er diese Rolle verweigert und doch fast zwanghaft verinnerlicht. Ausgerechnet er, ein Journalist, Deutscher und seiner Meinung nach "Nicht-Jude", soll vor Schülern "das Judentum" vertreten. Becker variiert gekonnt zwischen nachdenklichen Anmerkungen, wütenden Tiraden und versöhnlichen Gedanken. Doch immer heftiger wird diese Auseinandersetzung mit sich selbst, immer verletzlicher, immer verletzter erscheint der von ihm "gespielte" Jude Goldfarb.
Beckers Leistung ist grandios. Seine stimmliche Varianz, seine emotionale Präsenz und seine tiefgreifende Tragik vermittelnde Interpretation seiner Rolle ist über jede Kritik erhaben. Die wenigen Requisiten wie Bilder der Eltern, ein Schreibtisch mit wenigen Büchern, eine farblose, unpersönlich wirkende Wohnung vertiefen die Wirkung, die der Schauspieler mit seinem Monolog erzielt.
Dies kann man von dem Text von Lewinsky nur bedingt behaupten. Er versteht es zwar glänzend, die üblichen Klischees "der Deutschen" über "die Juden" offen zu legen, die übliche Betroffenheit, die Politik und Öffentlichkeit an den Tag legen, wenn vom Judentum und der deutsch-jüdischen Vergangenheit die Rede ist - aber leider vermittelt auch der Autor dies mit Hilfe von Klischees. All zu oft sind seine Formulierungen zwar eloquent und intelligent, aber auch vorhersehbar und fast wie Weisheiten. Die Sätze, die so locker und flüssig aus Goldfarb heraussprudeln, sind zu perfekt, zu sehr die Klischees anprangernd, zu treffsicher. Immer hat man das Gefühl, dass nicht ein Mann aus dem Stegreif monologisiert, sondern dass ein Autor endlos gefeilte, bis ins letzte perfektionierte Sätze von sich gibt. Der Monolog täuscht vor, eine Abrechnung zu sein. In Wahrheit ist es der intellektuelle Versuch, einen Juden in Deutschland idealtypisch herauszuarbeiten. Die Kritik, die Goldfarb an den Deutschen übt, lässt sich damit auch auf den Text von Lewinsky anwenden. Er öffnet ebenfalls eine Schublade, in die "der Jude" genau hineinpasst - bis zu seinem gefühlsmäßigen Widerwillen, seinen Sohn nicht zu beschneiden. Er wird zu einem idealtypischen Juden, zwar nicht dem des deutschen Betroffenheitsjournalismus, sondern zu dem "internen Juden", aus der Sicht "des Judentums". Damit aber wird auch er zu einem Klischee.
Dies ist zu bedauern, denn der Versuch, einen "Nachkriegsjuden" abrechnen zu lassen, ist sehr gelungen und grandios von Becker gespielt. Wäre nur dieser Jude gewöhnlicher und alltäglicher geworden. Wäre er nur "deutscher" geworden.
Aber vielleicht ist ja genau das die Botschaft dieses Films? - Ein Jude kann nicht aus seiner Haut, auch "ein ganz gewöhnlicher Jude" ist eben kein "gewöhnlicher Deutscher", sondern allenfalls ein Deutscher mit einer auf ihn einschlagenden viertausendjährigen Vergangenheit, der er sich nicht oder nur wenig entziehen kann.

Stefan Erlemann



DVD | Disc-Anzahl: 1 | Erschienen: 01. September 2006 | FSK: 12 | ISBN: B000GYJUV0 | Laufzeit: 89 Minuten | Preis: 11,97 Euro | Untertitel verfügbar in: - | Verfügbare Sprachen: Deutsch

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