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Nachdem der Vater eines Mitschülers gestorben ist, erinnert Rabbi Kahn die Kinder, dass alle Sünden eines Jungen bis zu seinem dreizehnten Lebensjahr dem Vater zugeschrieben würden. Das scheint die ideale Gelegenheit für Shalom Auslander, seinen cholerischen und schlagenden Vater loszuwerden. Allein am Sabbat gibt es unzählige Möglichkeiten zu sündigen, beispielsweise elektrisches Licht machen - das wird als Brennen angesehen (Kategorie 37), das wiederum als Arbeit angesehen wird, die wiederum in Form von neunundreißig Kategorien am Sabbat verboten ist.
Auch ist es verboten, nicht nur am Sabbat, innerhalb von acht Stunden nach dem Verzehr von Fleisch Milch zu trinken beziehungsweise umgekehrt. Shalom Auslander isst auch Brot, ohne sich vorher rituell die Hände zu waschen, vor dem Zubettgehen spricht er die Worte "Scheiße", "Ficken" und "Arsch" jeweils ein dutzend Mal und versucht Gott zu erzürnen, wie es für einen Achtjährigen eben möglich ist. Gott tötet seinen Vater nicht. Mit neun Jahren - der Plan den Vater durch sündigen zu töten, ist längst vergessen - isst Shalom Auslander das erste Mal nichtkoscher - eine Fleischstange namens Slim Jim. Von da an ist er infiziert und futtert sich quer durch das nichtkoschere amerikanische Snack- und Süßigkeitenangebot, es schließt sich die Zeit der Pornomagazine an. Mit elf Jahren sieht Shalom Auslander das erste Mal ein nacktes jüdisches Mädchen. Er lernt, dass seine Kippa, ohne die man nicht mehr als vier Schritte machen darf, durchaus von Nutzen sein kann, denn beim Klauen macht sie ihn unsichtbar. Umso älter Shalom Auslander wird, umso weniger feilscht er mit Gott um Sünden und Bußen. Er wird aufmüpfiger und zorniger, er streitet mit Gott, beschimpft ihn, hält ihn für einen Dreckskerl. Mit achtzehn Jahren wird er auf eine Religionsschule nach Israel geschickt, die dafür berühmt ist, abtrünnige amerikanische Jugendliche wieder in den jüdischen Schoß zurückzuführen.
Shalom Auslander wächst in einem orthodoxen jüdischen Viertel in New York auf. Er lernt nicht nur zwölf Namen für den Gott, dessen Name nicht ausgesprochen werden soll, sondern auch, dass Gott gerne und viel bestraft - vor allem mit dem Tod. Gott ist verschlagen und Shalom Auslander kann nicht anders, als zu glauben, dass Er alles persönlich nimmt. Shalom Auslander will nichts mehr, als Gott loswerden, seinen Glauben an Ihn verlieren. Und so lebt er zwar nicht mehr nach den jüdischen Regeln, wartet dafür jedoch tagtäglich darauf, dass Gott ihn tötet oder seine Frau tötet oder sein ungeborenes Baby tötet oder sein Baby tötet, nachdem es gesund geboren worden ist, oder seine Frau während der Geburt tötet oder einen Freund tötet. "Wenn ich Ihnen schon einmal begegnet bin und Sie auch nur ansatzweise mochte, habe ich Sie mir tot, enthauptet, zerstückelt vorgestellt."
Das ist die Welt des Shalom Auslander. In Rückblicken erzählt er von seiner Kindheit und Jugend, davon, dass er den Sabbat nicht mochte, dafür jedoch nichtkoscheres Essen, Mädchen und Marihuana, während der Leser zugleich dabei ist, wie seine Freundin Orli schwanger ist, einen Jungen gebärt und Shalom noch immer Angst hat vor der Rache des "Herrn Holocaust". Sein Verhältnis zu Gott ist ein besonderes, es ist geprägt von Zorn und Verachtung, Angst und Schuld, von Paranoia und Alpträumen.
Auslanders autobiographischer Roman "Eine Vorhaut klagt an" wurde von der New York Times zu einem der besten hundert Bücher des Jahres 2007 gewählt. Zu Recht! Es ist nicht nur sprachlich ausgefeilt, sondern bietet dem Leser vieles: Man schmunzelt, man wischt sich die Lachtränen von der Wange und hält kopfschüttelnd inne, man staunt - man staunt tatsächlich sehr viel in diesem Buch - und man hat Mitgefühl für diesen Menschen, der nicht mit und nicht ohne Gott leben kann und dessen jüdisch-orthodoxe Kindheit solch lange Schatten wirft.
In Anbetracht der Strenge des Themas mag man es gar nicht sagen, aber "Eine Vorhaut klagt an" ist ein außergewöhnlich unterhaltsames Buch. Ein Buch voller Sarkasmus, Situationskomik und der ganz leisen Tragik eines Lebens, das sich zu emanzipieren versucht.