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In dem ebenso traurigen wie genialen Song "Eleanor Rigby" besangen die Beatles einst das Schicksal der einsamen Menschen im Allgemeinen und das Los der einsamen Eleanor Rigby im Besonderen:
"Eleanor Rigby, picks up the rice in the church
where a wedding has been
Lives in a dream
Waits at the window, wearing the face
that she keeps in a jar by the door
who is it for?" Menschen wie die fiktive Eleanor Rigby aus dem Song gibt es im wahren Leben zuhauf: Liz Dunn ist 36 Jahre alt, übergewichtig, hat rote Locken und ist so unscheinbar, dass sie nahezu unsichtbar auf andere wirkt. Ob sie nachts schnarcht oder nicht, weiß sie nicht - denn es gab nie jemandem in ihrem Leben, der ihr dies hätte sagen können. In ihrer schmucklosen Wohnung lebt sie vor sich hin und ersehnt an den einsamen Wochenenden den nächsten Montag, an dem sie zumindest im Büro auf andere Menschen trifft. Doch dann passieren im Jahr 1997 mehrere Dinge gleichzeitig: Der Komet Hale Bopp fliegt über Nordamerika hinweg und Liz fühlt sich einen merkwürdigen Moment lang befreit und eins mit dem Universum. Dann erhält sie unvermittelt einen Anruf aus dem Krankenhaus, wo ein junger Mann nach einer Überdosis eingeliefert wurde. Der Junge behauptet, ihr Sohn zu sein. Liz hat zwanzig Jahre lang auf diesen Moment gewartet und macht sich sofort auf den Weg in die Klinik
In einer Mischform aus Roman und Tagebuchbericht, in dem sie sich teilweise unmittelbar an den Leser wendet, erzählt Liz von ihrem bisherigen Leben und vor allem von dessen großem Wendepunkt, der sieben Jahre vor dem Beginn ihrer Aufzeichnungen eintrat: ihrem Sohn Jeremy. Nach so vielen Jahren voller Einsamkeit und Galgenhumor wird Jeremy zum neuen und wundersamen Fixpunkt in Liz Leben, das sich unversehens und wie von selbst verändert - ehe es nach tragischen Ereignissen wieder zum Stillstand kommt. Dies alles erzählt Liz rückblickend, bis sie den Bogen in die Gegenwart schlägt und erneut wunderbare und einschneidende Dinge passieren. Der Kreis schließt sich, und wieder spielt ein Komet eine herausragende Rolle.
Die Themen des Autors Douglas Coupland waren schon in seinem großen Erfolgsroman "Generation X" das Leben in der Postmoderne, die verlorene Generation ohne Werte und Vorstellungen, die Abgehängten, die Einsamen. "Eleanor Rigby" ist ein wunderschönes Stück Literatur, ein relativ stiller, aber doch sehr kraftvoller und mitreißender Roman, in dem Menschen, die schon einmal Einsamkeit verspürt haben, sich wieder finden werden. Dem Autor wurde teilweise von Kritikern vorgeworfen, die Romanfigur Liz Dunn hätte dem Leser nicht viel zu sagen - sie hätte keine große Vision, keine großartigen Wünsche, es gäbe auch zu wenig Reibungspunkte mit ihrem wieder gefundenen Sohn und letztendlich würde die Frage, wo denn all die einsamen Leute hingehörten - wieder aus dem Beatles-Song:
"All the lonely people
where do they all belong?"nicht aufgeklärt. Dieser Eindruck mag auch deshalb entstehen, weil der Ton, den der Autor anschlägt, stets leicht bleibt, obwohl Themen aufgegriffen werden, die keinesfalls leicht sind: Einsamkeit, Verzweiflung, eine todbringende Krankheit.
Liz ist einsam, hasst ihren Körper und ihren langweiligen Job, sie ist sexuell unerfahren und hat Angst vor vielen Dingen - aber sie versinkt nicht in Selbstmitleid, sondern betrachtet ihr Schicksal mit einem gewissen Sarkasmus. Insgesamt macht dies den Roman meiner Meinung nach glaubwürdiger und echter, als es jedes künstliche In-die-Tiefe-gehen, jede krampfhafte Beschäftigung mit Lebensweisheiten vermocht hätte. Das Leben von einsamen Leuten, das oft genug einfach nur reichlich unspektakulär ist, muss sich auch in Romanen nicht zwanghaft in strahlenden Momenten zum Besseren wenden oder in absoluter Tragik versinken. Wichtig ist, dass Coupland den Leser nicht langweilt. Es gibt eine Menge überraschender Wendungen in diesem Roman. Manche sind äußerst komisch und skurril - was unter anderem der trockenen Art der Protagonistin zu verdanken ist -, andere sind traurig, wieder andere trösten den Leser und Liz Dunn gleichermaßen. So viel aber sei zumindest verraten: Das Ende ist versöhnlich und hat nichts mit dem traurigen Finale des Beatles-Songs, in dem Eleanor Rigby einsam in der Kirche stirbt und niemand zu ihrer Beerdigung erscheint, gemein.