Mit 25 Jahren wurde bei Daniel Tammet das Asperger-Syndrom, eine leichte Form von Autismus, diagnostiziert. Zudem ist er ein sogenannter Savant, das heißt jemand mit einer Inselbegabung. Wie viele Savants hat Daniel Tammet eine unglaubliche Begabung für Zahlen und kann innerhalb von Sekunden beispielsweise die fünfte Potenz von 37 nennen (= 69.343.957). Potenz-Multiplikationen sind seine Lieblingsrechenart. Ebenso kann er einem Datum den Wochentag zuordnen (Kalenderrechnen) und ist außerordentlich sprachbegabt. Er spricht zehn Sprachen (zu dem Zeitpunkt, als er das Buch schrieb), darunter Isländisch, das er in nur sieben Tagen so weit erlernte, dass er ein Live-Interview führen konnte. Zusätzlich zum Savant- und Asperger-Syndrom ist Daniel Tammet Synästhetiker und sieht Zahlen als Mixtur unterschiedlicher Formen, Strukturen und Farben. So kann er jede Primzahl bis 9973 an ihrer kieselsteinartigen Beschaffenheit erkennen. Jede Zahl bis 10.000 löst bei ihm eine visuelle und manchmal emotionale Reaktion aus.

Im Gegensatz zu vielen anderen Savants leidet Daniel Tammet jedoch nicht unter schweren geistigen oder körperlichen Behinderungen. Allerdings führt das Asperger-Syndrom zu Behinderungen in der sozialen Interaktion, Kommunikation und im abstrakten Denken. Obwohl er, insbesondere was die soziale Interaktion betrifft, im Laufe seines Lebens über seinen leichten Autismus hinauswächst, in einer Partnerschaft lebt und einen Beruf ausübt, hat er noch immer Probleme mit Abstraktionen und räumlicher Orientierung. Er muss sich abstrakte Begriffe wie Freiheit über Bilder erschließen, braucht Routine, um sich sicher und wohl zu fühlen, und isst jeden Morgen exakt 45 Gramm Porridge, einen Haferbrei, den er mit einer elektronischen Waage abmisst. Wenn er unter Stress steht, schließt er die Augen und zählt, denn Zahlen sind seine Freunde. Die Vier ist seine Lieblingszahl: Sie ist still und schüchtern und erinnert ihn an sich selbst.

Daniel Tammet ist ein sogenannter High-Functioning-Autist, Synästhetiker und Savant. Da er nicht unter den beim Asperger- und Savant-Syndrom häufig auftretenden schweren Behinderungen leidet, kann er berichten, wie er die Welt wahrnimmt. Seine Beziehung zu Zahlen, die immer wieder im Buch zur Sprache kommt, ist einfach unglaublich. Während ein Gärtner durch seinen Garten geht und sich an seinen Blumen erfreut, geht er durch seine Zahlenlandschaften und erfreut sich ebenso. Als Leser kann man leider nicht an eigenen Erfahrungen anknüpfen, aber man kann sich vorstellen, wie schön und beruhigend seine Beziehung zu den Zahlen ist. Hin und wieder sind Zeichnungen abgedruckt, auch jedes Kapitel wird mit einer Zeichnung eingeleitet, die die entsprechende Nummerierung zeigt, so wie Daniel Tammet sie wahrnimmt, zumindest ansatzweise.

Der Leser kann auch Daniel Tammets Entwicklung nachvollziehen: vom ständig schreienden Säugling über den zurückgezogenen, aber zufriedenen Knaben und den schließlich einsamen und sozial ausgeschlossenen Teenager bis zum jungen Mann, der die sozialen Beeinträchtigungen des Asperger-Syndroms zum großen Teil überwunden hat und in einer Partnerschaft lebt. Für Betroffene ist dies eine Geschichte, die Mut macht, für an anderen Wahrnehmungswelten Interessierte eine schier unglaubliche Fundgrube. Eine sprachliche Perle sollte man nicht erwarten, aber eine solide geschriebene Autobiographie von einem, der auszog, über sich selbst hinauszuwachsen und sowohl stolz als auch bescheiden davon berichtet. Darüberhinausgehend ist dies ein Plädoyer für einen respektvollen Umgang miteinander und dafür, an seine Träume zu glauben und sie zu verfolgen, ohne sich zu verbeißen.

Ein sympathischer Autor mit einer einzigartigen Geschichte.