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Seit dem Ende der Eiszeit erfuhren die Küstenverläufe Deutschlands und Skandinaviens massive Änderungen. Durch das Abschmelzen des Eises stieg der Meeresspiegel an, weshalb viele unmittelbar an der Küste gelegene Siedlungen, die aufgrund ihrer Lage von einiger wirtschaftlicher Bedeutung waren, im wahrsten Sinne des Wortes untergingen. Daher bieten diese Gegenden ein reiches Betätigungsfeld für Archäologen; das vorliegende Buch aus dem Marebuchverlag befasst sich mit deren Arbeit und Erkenntnissen: Das Watt gibt manches Fundstück bei Ebbe frei; Luftaufnahmen lassen erahnen, wo sich die Suche lohnt. Um freilich gesunkene Schiffe freizulegen, die Aufschluss über Handel und kriegerische Aktionen, aber auch kulturelle Aspekte geben können, müssen die Archäologen oft über längere Zeiträume sorgfältig geplante Unterwasserausgrabungen mit modernsten Mitteln vornehmen.
Zu den spektakulärsten Unternehmungen dieser Art gehört die im Buch ausführlich geschilderte Ausgrabung des 1628 bei seiner Jungfernfahrt gesunkenen schwedischen Kriegsschiffes Vasa, das 1961 nach jahrelangen aufwändigen Vorarbeiten geborgen und mit modernsten Mitteln konserviert werden konnte. Die seit der Römerzeit, vor allem aber im Mittelalter im Nordseeraum eingesetzten Schiffstypen, ihre Konstruktion, ihre Einsatzmöglichkeiten und somit wirtschaftliche Bedeutung sowie ihre Weiterentwicklung spielen in diesem Buch ebenfalls eine wichtige Rolle. Doch auch indirekte Indizien für jungsteinzeitliche Handelsschifffahrt finden ausführlich Eingang, zum Beispiel Funde von Artefakten aus helgoländischem Flintstein an zum Teil recht weit vom Abbaugebiet entfernten Orten; dieser Flintstein zeichnet sich durch eine ungewöhnliche Farbgebung und Maserung in Rottönen aus und besaß daher mit Sicherheit einen hohen Prestigewert.
Zeichnungen von Schiffen in bronzezeitlichen Gräbern und auf Monumenten geben uns einen Eindruck von den Schiffen jener Epoche, auch wenn erhaltene Schiffe aus dieser Zeit bislang nicht entdeckt wurden.
Aus der Eisen- und der Römerzeit existieren Schiffsfunde, die in einem weiteren Buchkapitel erläutert werden; manches Schiff der Eisenzeit war Teil einer Opferung im Moor und überstand zwei Jahrtausende bemerkenswert gut. Das Mittelalter und die Wikingerära liefern natürlich vielseitigere Funde, aus dieser Zeit lassen sich bereits erste Hafenanlagen rekonstruieren.
Die genannten Themen liegen im Buch in Form unabhängiger, von unterschiedlichen Autoren verfasster Beiträge vor. Diese sind chronologisch angeordnet, sodass sich dem Leser die Kulturen der Nordsee und ihre archäologische Entdeckung und Interpretation in kontinuierlicher Reihenfolge erschließen. Es sei an dieser Stelle ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich das Buch auf die deutschen und skandinavischen Küsten beschränkt - die Unterwasserarchäologie des Mittelmeeres wird nicht thematisiert.
Anhand der Vielfalt von Spezialgebieten gewinnt der Leser einen umfangreichen Eindruck von der Arbeit der Unterwasserarchäologen und den speziellen Anforderungen, die Küstenlandschaften an Ausgrabung und Konservierung stellen, aber auch von den besonderen Funden, die interessante Rückschlüsse auf Handelsbeziehungen und lokale Weiterentwicklungen zulassen, etwa die örtlich und zeitlich ganz unterschiedlich geformten Sinteln und Nieten, die beim Kalfatern (Abdichten der Ritzen zwischen den Planken) der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Koggen zum Einsatz kamen: kleine Fundstücke, die bedeutsame Einblicke liefern. Selbstverständlich werden auch die Schiffsbautechniken und die individuell an die Erfordernisse der Landungsplätze angepassten Schiffstypen detailliert beschrieben.
Jeder einzelne Beitrag des Buchs ist interessant, inhaltlich wertvoll und allgemeinverständlich verfasst. Herauszuheben wären vielleicht das Kapitel über die Hebung der Vasa, jene Sternstunde der Unterwasserarchäologie, zumal der Leser auch viel über die Schwierigkeiten der musealen Erhaltung solcher eigentlich für den Aufenthalt auf dem Wasser ausgelegten Fundstücke erfährt, und jenes über die archäologischen Arbeiten bezüglich der Expeditionen von Vitus Bering, dem Namensgeber der Meeresstraße zwischen Sibirien und Alaska, der bei seiner letzten Entdeckungsreise zu Tode kam. Zwar geht es hierin nicht um Unterwasserarchäologie, doch führen die Nachforschungen zu interessanten Ergebnissen nicht nur hinsichtlich der Persönlichkeit Berings selbst, sondern auch der Risiken und Probleme bei der Schifffahrt im 18. Jahrhundert.
Das Buch ist ansprechend aufgemacht und reich illustriert: Fotos von Fundstücken, Skizzen von Siedlungen oder Schiffstypen, Overlays von historischen und aktuellen Küstenverläufen oder anderes Kartenmaterial und vieles mehr ergänzen die Texte vorzüglich. Freunden der Archäologie sowie der Geschichte des nordeuropäischen Raumes kann dieses Buch bestens empfohlen werden.