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Udo Pollmer ist einer jener Autoren von Gesundheitsberatern, die wissen, wovon sie sprechen. Als Leiter des Europäischen Instituts für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften schreibt er seit vielen Jahren gegen Wirtschaft und Wissenschaftler an, die entgegen allen Studien behaupten, dick sein mache krank. Nun hat er ein neues Buch vorgelegt, das schon am Umschlag deutlich macht, worum es hier geht: Es ist das Bild einer Waage, deren Zeiger fast auf null steht. Wie dünn wollen wir werden? scheint er damit zu fragen.
Das Buch nimmt die Kampagne der Gesundheitsministerin vom Vorjahr zum Anlass, deren Verlogenheit sofort entgegen zu treten. Die Studien, die belegen sollten, dass Deutsche immer dicker werden, waren einseitig zitiert und spiegelten nicht die Wirklichkeit. Nicht 30% der Deutschen sind zu dick, sondern 8% der Bewohner von Halle und sie werden an einem Gewichtsstandard gemessen, der in Frankreich in der Nachkriegszeit galt. Und wenn man das Gewicht der Deutschen seit 1945 betrachtet, sind sie nur etwa 10% dicker als in den 50er Jahren.
Im Jahr 2004 titelte auch der "Spiegel" mit der "Fresswelle" und weckte damit Panik in der Bevölkerung. Geschrieben war der Artikel damals pikanterweise von Jörg Blech, der seither klüger geworden ist und mit mehreren Büchern wie "Die Krankheitserfinder" begonnen hat, dieses ewig gleiche Zusammenspiel von Pharmaindustrie und Gesundheitsberatern zu demontieren. Denn dass wir angeblich immer dicker werden, das ist vornehmlich einmal die Behauptungen von Menschen, die uns damit Angst machen und mit Diäten und Schlankheitspillen Geld machen wollen - obwohl sie längst wissen, dass man damit nicht selten Menschen zu Tode bringt.
Pollmer räumt mit einigen Mythen auf. Zum Beispiel ist der Body-Mass-Index (BMI), der zur Bestimmung von Übergewicht herangezogen wird, längst veraltet und wenig aussagekräftig. Ihm zufolge wären Brad Pitt und George Clooney auch übergewichtig - und Arnold Schwarzenegger müsste sofort zum Abspecken auf die Intensivstation.
Manche Erkenntnisse sind ungewohnt. Wer Diäten macht, nimmt statistisch gesehen regelmäßig zu! Und wer Sport treibt, wird davon nicht unbedingt schlanker. Es scheint nämlich, so der Autor, als würde jeder ein genetisches Programm haben, das unser Gewicht kontrolliert. Wer auf der schlanken Seite dieses Programms bleiben soll, sollte viel Schlafen und Stress meiden, denn das seien neben Diäten die wichtigsten Dickmacher. Außerdem spielen Hormone wirklich eine Rolle - was erklären soll, warum Menschen kurz nach dem Heiraten gerne ein paar Pfunde zulegen.
Das Buch ist flüssig geschrieben und wartet mit zahlreichen Fußnoten auf. In vielem sagt es, was eigentlich in medizinischen Kreisen schon bekannt ist, aber beharrlich negiert wird: Menschen mit einem Übergewicht von 20 - 30 kg leben länger und gesünder als Schlanke. Menschen, die dauernd versuchen, abzunehmen, werden über die Jahre dicker als sie waren. Und wer abgenommen hat - zum Beispiel bei einer Herzkrankheit - stirbt früher als einer, der sein Gewicht dort belassen hat, wo es war. Wer abnimmt, macht also einen Fehler - und raubt sich jede Menge Lebenslust.
Sicherlich übertreibt Pollmer insgesamt ein bisschen. Es mag sein, dass man nicht unbedingt länger lebt, wenn man schlank ist. Aber wie zahlreiche Erfahrungen zeigen, fühlt man sich wohler, wenn man nicht zu viel gestopft hat und sieht wirklich besser aus. Es ist in der Hinsicht nicht günstig, dass der Autor laut Umschlagphoto selbst ein bißchen zu sehr auf der pummeligen Seite ist. So bekommt man leicht den Eindruck, er meine es mit sich selbst zu gut und spreche, wenn es um den Nachteil des Schlankseins geht, von sauren Früchten.