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Johan Sletten war Journalist bei einer norwegischen Zeitung. Er war ein unauffälliger, unbescholtener Mitarbeiter, der seine Arbeit gut machte, aber ansonsten seinen Vorgesetzten kaum auffiel. Deswegen wurde auch nicht er für die Stelle des Feuilletonchefs eingesetzt, für die er sich beworben hatte. Ein weiterer Grund war, dass sein Vorgesetzter der Meinung war, Johan Sletten stünde noch zu sehr unter Trauer wegen des tragischen Todes seiner Frau Alice. Das war allerdings nicht der Fall. Johan und Alice hatten nämlich eine sehr laute, sehr unglückliche Ehe geführt und gäbe es nicht den gemeinsamen Sohn, hätte er wohl selbst irgendwann seine Frau im Zorn überfahren. Das hatte dann allerdings ein anderer getan und so starb sie und er war wieder frei.
Diese Zeit ist aber schon ewig her. Nun ist Johan in Rente und glücklich mit Mai verheiratet, die er seine Gnade nennt. Mai ist nicht besonders hübsch und hat einige kleine Fehler, doch ihr Haar glänzt selbst im Dunkeln und sie zündet in Johan einen kleinen Funken an, den er vorher so gar nicht an sich kannte. Aber die glückliche Zeit wird bald zu Ende sein, da sein Arzt ihm mitgeteilt hat, dass er bald sterben wird. Es ist von Streuung die Rede und davon, dass er nur noch hoffen kann. Das möchte Johan auch. Er möchte hoffen, dass sein Körper die schreckliche Krankheit besiegt, die an seinem alten Körper frisst, doch gleichzeitig weiß er, dass dies ein schöner Traum bleiben wird. Denn er wird sterben. Vor dem Tod hat Johan Sletten keine Angst, aber er hat Angst davor, seine Würde zu verlieren. Aus diesem Grund bittet er seine liebe Mai um einen großen Gefallen. Sie soll ihm helfen und ihn erlösen, wenn es soweit ist. Die Frage ist nur, ob Mai stark genug sein wird, ihm die Gnade des gewählten Todes zu erfüllen.
In diesem Buch wird ein sehr heikles Thema angesprochen. Ein todkranker Mann bittet seine geliebte Frau darum, ihn zu töten, ehe die Krankheit aus ihm ein "sabberndes, unsauberes Etwas" macht, das man nur noch verabscheuen kann. Er bittet sie um diesen Gefallen, auch wenn er weiß, dass damit Mai, die Medizin studiert hat, gegen das Gesetz verstoßen würde. In sehr schlichten, unpathetischen Worten erzählt Linn Ullmann von einem unscheinbaren Mann und seiner Entscheidung, die vollkommen nachvollziehbar ist.
Gemeinsam mit der Autorin taucht der Leser immer tiefer in das soziale Umfeld und die Gedankenwelt von Johan mit ein, der noch nie in seinem Leben besonders aufgefallen ist. Damit hat sie eine Person erschaffen, die einem täglich auf der Straße begegnen könnte und durch die dadurch die Erzählung für den Leser so präsent wirken kann. Es fallen keine großen Worte in diesem Zwiespalt, in den die Liebe zwei Personen gebracht hat. Nur zu verständlich reagieren Mann und Frau auf diese ungewohnt bedrohliche Situation, die ihr ganzes Leben in Frage stellt. Durch die einfache Sprache werden die Trauer von Johan und der Zweifel von Mai nur umso wirkungsvoller.
Ein kleines, dünnes Taschenbuch, das ein sehr heikles Thema treffend beschreibt. Nur zu gut kann man sich selbst in die Situation hineinversetzen, in der die beiden Hauptfiguren stecken. Gerade deswegen ist auch die Handlungsweise beider so erschütternd. Denn hier handeln normale Menschen, die normale Gefühle haben, und man selbst merkt nur zu gut, dass man in dieser Situation wohl ebenfalls nicht anders reagieren würde. Frei von Kitsch wird das Thema Euthanasie mit dem nötigen Ernst behandelt, den es verdient. Und am Ende muss der Leser sich eingestehen, dass es tatsächlich eine Form der Gnade sein könnte - für beide Seiten.