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Gründungsmythen beeinflussen Gesellschaften und ihre Angehörigen und dienen sowohl der Rechtfertigung von Macht und Einfluss als auch als sinnstiftende und kollektivierende Sagen. Im Rahmen des trinationalen Graduiertenkollegs "Gründungsmythen Europas in Literatur, Kunst und Musik" fand im November 2011 die Tagung "Gründungsmythen Europas im Mittelalter" statt.
Die dort gehaltenen Beiträge wurden für das vorliegende Werk nach- und aufbereitet und 2013 vom Verlag Vandenhoeck & Ruprecht herausgegeben. Die zwölf Beiträge umspannen dabei den Zeitrahmen von der Antike bis in das Mittelalter und erstrecken sich geografisch von Island bis nach Rom.
Während der Gründungsmythos der Stadt Rom bei uns zum Schulkanon gehört, dürfte der erste Landnehmer Islands der breiten Leserschaft noch unbekannt sein. Dennoch schaffen es die abgedruckten Vorträge in Ihrer Zusammenstellung das Interesse auch an nicht in Mitteleuropa handelnden Mythen zu wecken, so dass selbst Leser, die sich das Werk nur einiger spezifischer Beiträge wegen zugelegt haben, aus sich neu entwickelndem Interesse die anderen Beiträge zumindest überfliegen werden. Und somit lernen, dass die Besiedlung Islands durch Ingölfr keine militärische Annexion, sondern eine wirkliche Inbesitznahme bisher nicht bewohnten Landes war.
Dieses Interesse - auch für primär nicht interessant wirkende Beiträge - liegt sicherlich auch an dem durchgängig klaren Schreibstil, eine Konstanz, die bei zwölf verschiedenen Autoren doch eher überrascht. Die Texte werden daher auch für den Laien verständlich und geben Denkanstöße über die bloße Betrachtung der verschiedenen Gründungsmythen hinaus.
Da der Einfluss von (Gründungs-)Mythen auf die jeweilige Gesellschaft auch davon abhängt, wie intensiv an die Mythen geglaubt wird, könnten Kritiker anbringen, dass ihr Einfluss im säkularen Europa verschwindend gering sein muss und daher aus soziologischer Sicht kein Interesse mehr an der Diskussion und Analyse der vielfältigen Ursprungssagen besteht. Ohne explizit darauf einzugehen, hält dieses Buch dem doch einige Beispiele entgegen. Bereits im zweiten Kapitel geht es um die Entwicklung des Stadtverständnisses infolge des Zusammenbruches des Römischen Reiches. Auch wenn die Kopplung von Stadtrecht und Bischofssitz schon seit mehreren Jahrhunderten aufgelöst ist, wirken die damaligen Traditionen doch teilweise bis heute nach.
Wenn Karina Kellermann in ihrem Beitrag über den Wiederkehrmythos um den Staufenkaiser Friedrich II. zunächst den Unterschied von Wiederkehr und Rückkehr erläutert, schafft sie damit einen elegant-einfachen Einstieg in die nicht unbedingt triviale Problematik des Glaubens an die Wiederkehr und Etablierung eines goldenen Zeitalters durch einstige menschliche Herrscher im Rahmen des Christentums, dass genau solche Wiederkehrsagen eigentlich als Ketzerei verurteilt.
Die Vielfältigkeit der Themen und die Konstanz des gut-verständlichen Schreibstils machen die vorliegenden Tagungsbeiträge zu einer interessanten und phasenweise sogar fesselnd-spannenden Lektüre nicht nur für historisch versierte Experten.
Weitere Informationen finden sich auf der
Verlagsseite.