Unter dem Begriff "Grüne Neune" versteht man heute einen Ausruf des Verzweifelns, ähnlich der "schönen Bescherung". In früheren Zeiten stand diese Bezeichnung jedoch für etwas anderes: Sie umschrieb eine Zusammenstellung aus neun Pflanzen, die gegen Gift und Krankheit helfen sollten. Die Auswahl der Gewächse variierte dabei von Region zu Region, von Individuum zu Individuum. Doch handelte es sich dabei nicht um seltene oder exotische Pflanzen, sondern um ganz gewöhnliche Kräuter, die man in Wiese und Garten findet.

Getreu diesem Brauch hat der Ethnobotaniker Wolf-Dieter Storl neun Kräuter ausgewählt, die auch heute noch sehr weit verbreitet sind. Interessanterweise handelt es sich dabei oft um Pflanzen, denen der eifrige Gärtner häufig den Namen "Unkraut" verpasst, ohne zu ahnen, welche Kraft in diesem kleinen, aber hartnäckigen Grün steckt. In diesem Buch versammelt sind somit die Brennnessel, der Beifuß, Gundermann, Geißfuß (auch als Giersch bekannt), Wegerich, Ackerschachtelhalm, Gänseblümchen, Vogelmiere und der Löwenzahn.

Jedes der neun Kapitel setzt sich intensiv mit einer dieser Pflanzen auseinander. Der Aufbau der einzelnen Kapitel ist dabei stets ähnlich. Am Anfang steht eine Art Titelseite, auf der sich eine Skizzierung der behandelten Pflanze als Ganzes sowie von Teilen derselben befindet, überschrieben von der allgemeinen deutschen und lateinischen Bezeichnung des Gewächses, der Bezeichnung der Pflanzenfamilie sowie einer Liste an Volksnamen, unter denen es ebenfalls bekannt ist.

Nach einer allgemeinen Einleitung geht Storl auf die einzelnen Besonderheiten der entsprechenden Pflanze ein, insbesondere auf die Frage, welche Leiden sich mit ihr lindern beziehungsweise wo man sie präventiv einsetzen kann. Dieser Abschnitt ist oftmals mit grauen Textkästen versehen, in den sich verschiedene Zubereitungsmöglichkeiten für das Kraut befinden, so zum Beispiel Brennnesselsuppe, russischer Spitzwegsalat oder Gänseblümchensirup. So einfach und lecker diese Rezepte auch klingen, sollte man sich darüber im Klaren sein, dass man die Zutaten hierzu nicht alle einfach so kaufen kann, sondern wirklich ein klassisches Kräutersammeln dem Gaumenschmaus vorangehen muss.

Wolf-Dieter Storl wäre aber nicht er selbst, wenn er nicht auch intensiv auf mythologische und schamanistische Hintergründe der Pflanzen eingehen würde. Dieses Thema ist nun bekanntlich sehr speziell, und nicht jeden Leser interessiert es, dass es sich bei der Brennnessel aufgrund ihrer Wehrhaftigkeit um eine Pflanze des Mars handelt, oder der Wegerich das Kraut der Venus und des Merkur ist. Trotz ihrer Eigenheiten sind diese Informationen dennoch äußerst interessant zu lesen, und auch Menschen, die mit gelebtem Schamanen- oder Keltentum nichts am Hut haben, können sich daran erfreuen. Man darf darüber hinaus nicht vergessen, dass es Storl vor allem darauf ankommt, den Menschen die Bedeutung von Pflanzen zu verdeutlichen. Der Löwenzahn ist eben kein "Un"-Kraut, denn es gibt in dem Sinne keine "Un"-Kräuter. Jedes Gewächs hat seinen Sinn, und gerade solche, die als Störenfriede in der Ordnung eines gepflegten Gartens angesehen werden, haftet oftmals mehr Bedeutung an, als der gemeine Gärtner gedacht hätte.

"Heilkräuter und Zauberpflanzen" ist - ebenso wie Storls andere Werke - kein gewöhnliches Pflanzenbuch. Doch derer gibt es sowieso zur genüge. Storl dagegen versucht, die Augen seiner Leser für die Besonderheiten - das Magische - der Natur zu schärfen. Auch der vorliegende Band ist etwas besonderes, vermittelt er doch altes Hauswissen abseits der Konventionen. Kurzum, wer sich für Heilkräuter und Pflanzen im Allgemeinen interessiert, sollte diesem Buch eine Chance geben. Es lohnt sich!