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Ende des 19. Jahrhunderts, zur Kolonialzeit: Kapitän Charlie Marlow fährt mit einem altersschwachen Dampfboot in den Kongo, mitten hinein in das dunkle Herz Afrikas. Marlow soll den europäischen Elfenbeinhändler Kurtz, der sich dem Einfluss der Handelsgesellschaften entzogen hat, aus der belgischen Kolonie zurück in die Zivilisation bringen.
Die zwei Monate andauernde Fahrt zu Kurtz Handelsstation führt nicht nur geographisch in unwägbares, teilweise unerforschtes und undurchdringliches Terrain, sondern sie führt den Kapitän und die Zuhörer auf eine Reise ins Ungewisse, in die eigene Existenz und in den Abgrund des Bösen. Nach dieser albtraumhaften Expedition wird nichts mehr sein, wie es vorher war. Marlow distanziert sich im Verlauf der Reise durch seine neu gewonnenen Eindrücke zunehmend von den Weißen und erkennt, dass das ehrbare Bild der Abenteurer, Missionare und Kolonialherren eine Farce ist, denn Ausbeutung, Mord und Misshandlung an den Einheimischen sind allgegenwärtig. Die Reise des Kapitäns ist nicht nur eine Fahrt von Ort zu Ort, sondern dient gleichzeitig als Reise in sein Seelenleben - sie ist gleichermaßen eine Allegorie.
Mittelpunkt und Ziel von Marlows Afrika-Reise ist der charismatische Kurtz, der weithin verehrt wird als skrupelloser Held, weil er mehr Elfenbein als alle anderen Handelsagenten erbeutet. Tatsächlich aber ist Kurtz ein grausamer Egoist, ein brutaler Menschenschinder, erfüllt von Machtgier und Finsternis. Im Kongo hat er sich ein eigenes Reich des Schreckens geschaffen. Marlow brennt darauf, diese sagenumwobene Gestalt mit eigenen Augen zu sehen, doch es gehen Gerüchte, dass Kurtz todkrank ist, dem Wahnsinn verfallen, vielleicht sogar schon tot
Die Kongo-Expedition, also die eigentliche Handlung, wird von Kapitän Marlow in einer Art Rahmenhandlung erzählt. Während einer ruhigen Themsefahrt schildert er seiner Mannschaft das Erlebte aus der Perspektive des Ich-Erzählers.
Bei der hier rezensierten Version handelt es sich um das Hörbuch aus dem Verlag Parlando, Edition Christian Brückner. Die ungekürzte Lesung umfasst mit einer Gesamtlänge von 303 Minuten vier CDs, die im aufklappbaren dunkelgrünen Pappschuber daherkommen. Gelesen wird "Herz der Finsternis" von Christian Brückner - ein wahrer Glücksgriff für die düstere Geschichte. Brückner ist einer der wohl besten Synchronsprecher Deutschlands und unter anderem bekannt als die deutsche Stimme von Robert de Niro, Robert Redford und Warren Beatty. Wo andere Vorleser stellenweise hasten oder mittelmäßig bleiben, scheut Brückner sich nicht, mitten im Lesen zu zögern oder kurze Pausen einzulegen, als gelte es abzuwägen, die richtigen Worte erst zu finden - so wie auch Kapitän Marlow im Verlauf seiner Erzählung die richtigen Worte sucht.
Brückners heisere Stimme scheint permanent zu knarren und zu kratzen; sie entspricht mit ihren Ecken und Kanten ausgezeichnet Conrads Romanvorlage, die ebenfalls sprachlich sperrig, dunkel und sehr bildreich daherkommt. Der Autor bedient sich ausgiebig negativen Wörtern wie Finsternis, Dunkelheit, Krankheit, Wildnis, Wahnsinn, Grauen und dergleichen mehr. Dadurch entsteht vor dem inneren Auge des Zuhörers nach und nach eine Atmosphäre der Bedrücktheit, des Unbehagens und der Unruhe. Die Vorlage trägt stark autobiografische Züge: Joseph Conrad war selbst lange Jahre Kapitän eines Flussdampfers und brachte seine eigenen Erfahrungen und Erlebnisse in den Roman ein.
Das Hörbuch ist nicht nur eindrucks-, sondern auch anspruchsvoll, es eignet sich kaum zum "Nebenbei-Hören" bei anderen Tätigkeiten; diese Produktion fordert die vollste Aufmerksamkeit vom Hörer. Wer eine permanent voranschreitende Handlung und atemberaubende Spannung erwartet, wird hier sicherlich enttäuscht: Das Hörbuch holt weit aus, bietet viele Schilderungen von Gedanken und Eindrücken, lässt Kapitän Marlow weit ausschweifend und sinnierend erzählen und ergeht sich in faszinierenden, wenngleich auch bedrückenden Beschreibungen der Natur. "Herz der Finsternis" ist keinesfalls kurzweilig, aber bei Weitem nicht langweilig!
Übrigens hat Joseph Conrads Roman auch als "Mainstream" Weltruhm erlangt, wenn auch indirekt und unter anderem Namen: Der erstmalig im Jahr 1902 in englischer Sprache erschienene Roman inspirierte den Regisseur Francis Ford Coppola zu seinem Film "Apocalypse Now" (1979 / 2001 als "Apocalypse Now Redux" erneut in den Kinos); Coppola verlegte die Handlung und den menschenverachtenden Kurtz jedoch in den Vietnamkrieg.
Fazit: Eine sehr dichte, intensive und düstere Hörbuchproduktion, die durch ihren starken Sprecher zum Hörvergnügen wird. Nicht umsonst wurde das Hörbuch 2005 mit dem Deutschen Hörbuchpreis ausgezeichnet. Wer jedoch eine lebhafte Handlung, "Action" oder gar Humor erwartet, wird sich mit ziemlicher Sicherheit langweilen - die Geschichte kommt zu düster, zu langsam und zu sperrig daher, um als unterhaltsam im klassischen Sinn zu gelten. Conrads Roman ist ein interessantes Zeitzeugnis der Kolonialzeit und der damaligen Gedanken der Menschen; nicht zuletzt birgt es eine weitreichende Kritik an den damaligen Praktiken der Ausbeutung der Einheimischen und am Rassismus an sich.