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Der Erste Weltkrieg ist seit ein paar Jahren zu Ende. Ehemalige Soldaten, aus der russischen Kriegsgefangenschaft entlassen, strömen in ihre osteuropäischen Heimatländer zurück und stranden nicht selten unterwegs in größeren Städten – so auch Gabriel Dan. Dieser quartiert sich in einem billigen Zimmer im sechsten Stock des mondänen Hotels Savoy ein in der Absicht, seinen in der Stadt wohnhaften reichen Onkel dazu zu bewegen, ihm Geld für die Weiterreise in den Westen zu geben.
Dies aber erweist sich als schwierig, denn das Herz des Onkels schlägt nur für ihn selbst und seinen Sohn, einen verwöhnten Gecken. Über seinen Vetter lernt Gabriel eine aparte Varieté-Tänzerin aus dem obersten Stockwerk des Hotels kennen, die ihn mit weiteren einfachen Menschen bekannt macht. Gabriel kommt aber auch mit allerlei "halbseidenen" Persönlichkeiten und den Reichen aus den unteren Etagen in Kontakt, unter anderem mit dem sagenumwobenen Henry Bloomfield, dessen Vater noch Blumenfeld hieß, und der zu einem Besuch in seine Vaterstadt zurückgekehrt ist, um dem verstorbenen Vater seine Reverenz zu erweisen. Die Stadtbewohner erwarten von dem Milliardär allerdings mehr als das. Er und der Fabrikbesitzer Neuner, der sich vor allem für die nackten Mädchen in der Bar des Savoy interessiert – jene, die ihre Hotelzimmer nicht mehr bezahlen können und zu dieser Entwürdigung gezwungen werden -, enttäuschen die einfachen Bürger und Arbeiter zutiefst.
Im Hotel Savoy entzünden sich nach und nach die Gegensätze zwischen Arm und Reich, dann auch draußen in der Stadt, im Land. Eine Revolution bahnt sich an. Über allem liegt der Schmerz einer unerfüllten Liebe, jener zwischen Gabriel und der kleinen Tänzerin, einer Liebe, die unerklärt bleibt und daher schon vor dem Aufblühen abstirbt.
Und dann sucht sich die Wut der hungernden Arbeiterfrauen und ihrer streikenden, betrunkenen Männer ein Ventil.
Dieses recht frühe Werk von Joseph Roth befasst sich bereits mit den klassischen Themen des Autors: den kleinen Leuten, dem entwurzelten Individuum. Allen voran tritt hier Gabriel Dan in Erscheinung, eine Art Wanderer zwischen den Welten, der eine enge Verbundenheit mit einfachen Menschen wie der kleinen Varieté-Tänzerin und ihren bitterarmen Kollegen sowie einem bald nach ihm in der Stadt eintreffenden, schlicht gestrickten und sich zum Revoluzzer entwickelnden Kriegskameraden aufbaut, aber auch problemlos in den Dunstkreis der Reichen eintaucht. So engagiert ihn Bloomfield sogar als Sekretär.
Ohne unangebrachte Sentimentalität schildert Joseph Roth aus der Sicht seines Protagonisten die Verhältnisse in einer beliebigen ostmitteleuropäischen Stadt in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg. Diese Stadt mag in Polen, der damaligen Tschechoslowakei oder Ungarn liegen, es spielt keine Rolle; der sich zum Explosiven hin entwickelnde Kontrast zwischen Arm und Reich ist überall gleich, und auch die Hotels gleichen sich. Das Savoy steht sinnbildlich für die Gesellschaft jener Länder, freilich gewissermaßen auf dem Kopf, denn die Armen hausen ganz oben, und die Crème logiert in den unteren drei Etagen.
Roth zeichnet sozusagen mit wenigen ausgeprägten Strichen plastische, authentische Charaktere, die man lieben oder hassen muss. Er schreibt kraftvoll und dann auch wieder sensibel und zart, schildert klar und schmucklos die Missstände und lässt schließlich ganz behutsam die erwähnte Liebesgeschichte anklingen und vergehen. Und dieser Meister des unterhaltsamen Erzählens verblüfft stets aufs Neue durch enormen Tiefgang, gepaart mit einer unterschwelligen Traurigkeit, die sich durch sein ganzes Werk zieht.
Ein packender Roman, der durch seine Vielschichtigkeit und Joseph Roths unverwechselbaren Stil besticht: gesellschaftskritisch ohne Besserwisserei, romantisch ohne Kitsch und immer wieder geprägt von so unaufdringlich wie eingängig dargebotener Kenntnis der menschlichten Natur – um nicht zu sagen, Weisheit.