Die cthuloide Kurzgeschichten-Anthologie "Hüter der Pforten" erschien erstmals 1990 unter dem Titel "Tales of the Cthulhu Mythos" im Verlag Arkham House. Dreizehn Jahre später veröffentlichte Lübbe das Buch in deutscher Übersetzung. Nun liegt es in der Reihe Bastei Lübbe Stars zum sagenhaften Preis von 4,99 Euro vor.

Der Band enthält 22 Kurzgeschichten von insgesamt 16 Autoren, sowie ein einleitendes Essay von James Turner. H.P. Lovecraft selbst ist mit "Cthulhus Ruf" und "Der leuchtende Trapezoeder" vertreten. Ebenfalls je zwei Geschichten stammen aus den Federn von Clark Ashton Smith, Frank Belknap Long und Lovecrafts Nachlassverwalter August Derleth. Von "Psycho"-Autor Robert Bloch sind gleich drei Geschichten enthalten. Zudem ist vor Beginn jeder Erzählung eine Illustration von Johann Peterka abgedruckt, die zwar allesamt mit den Geschichten wenig zu tun haben, ob ihrer cthuloiden Thematik dennoch gut in das Buch hineinpassen.

Obwohl viele der Geschichten einen sehr einheitlichen Aufbau aufweisen, lassen sich doch einige Perlen in diesem Buch entdecken. Lovecrafts "Cthulhus Ruf" als Grundstein des Mythos ist fast schon eine Pflichtwahl, ebenso wie Howards geniale Geschichte "Der Schwarze Stein". Robert Blochs "Der Schlächter von den Sternen" und Lovecrafts "Der leuchtende Trapezoeder" verbindet dagegen eine besondere Anekdote. Der junge Bloch, ein großer Fan des Schriftstellers aus Providence, holte sich bei seinem Idol die Erlaubnis, ihn in eben dieser Geschichte töten zu dürfen - was zu einer wunderbaren Hommage an Lovecraft geführt hat. Dieser revanchierte sich, indem in "Der leuchtende Trapezoeder" eine Figur namens Robert Blake das Zeitliche segnet. "Mein Boot" von Joanna Russ weicht von dem bisher üblichen Schema ab, indem sich die Autorin Lovecrafts Traumlanden widmet, und sorgt somit für angenehme Abwechslung. Eine große Überraschung stellt auch Stephen Kings "Briefe aus Jerusalem" dar, welches erstmals in seiner Kurzgeschichtensammlung "Nachtschicht" erschienen ist. Zwar hält auch er sich eng an die literarische Herangehensweise Lovecrafts, doch bietet gerade dieser Ansatz einen interessanten Einblick in das große Potenzial des ansonsten eher seinen eigenen Stil pflegenden Kult-Autors. Die innovativste Geschichte ist allerdings "Entdeckung der Ghoorischen Zone", in der Autor Richard A. Lupoff eine gute Vorstellung dessen bietet, was es heißen kann, den Cthulhu-Mythos vor einem Science-Fiction-Hintergrund anzusiedeln.

Etwas unglücklich ist im Zusammenhang mit der Thematik der Geschichten die Wahl des Titelbildes. Im Gegensatz zu der ersten deutschsprachigen Auflage 2003, die als violetter Foliant mit cthuloidem Siegel erschien, ziert diese Ausgabe ein Bild des Sensemannes vor violettem Nebel. Hier zeigt sich wieder einmal, dass sich manche Verlage bei der Auswahl der Titelbilder keinen Deut um dem Inhalt des entsprechenden Buches scheren. Für einen Horrorroman mag dieses stellenweise sehr kitschig wirkende Cover noch passabel erscheinen, für eine Mythos-Geschichten-Sammlung ist der Sensemann jedoch genauso ungeeignet wie ein kleines Kätzchen für das Cover eines Hundebuches.

Der Sammelband enthält eine solide Mischung an cthuloiden Geschichten verschiedenster Autoren von 1928 ("Cthulhus Ruf") bis 1979 ("Das Erstsemester") und bietet damit einen guten Überblick über den Mythos. Da viele der Geschichten einen ähnlichen Aufbau aufweisen, ist es nicht empfehlenswert, das Buch an einem Stück zu lesen, sondern "häppchenweise" zu genießen. Leider sind keine Geschichten der letzten 20 Jahre enthalten. Auch Geschichten deutscher Autoren sucht man vergebens. Solange Frank Festas geniale, zweibändige Anthologie "Der Cthulhu-Mythos 1917-1975/1976-2002" außer Druck ist, steht mit "Hüter der Pforten" jedoch ein veritabler Ersatz zur Verfügung. Aber auch wer Festas Bücher besitzt, kann ob des günstigen Preises bedenkenlos zugreifen, um seine Sammlung cthuloider Geschichten zu erweitern.