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Leider muss ich diese Rezension mit großem Gemecker beginnen. Jedem Käufer dieses Buches wird es wahrscheinlich ähnlich gehen. Zuerst findet man auf dem Cover die Bezeichnung Roman, erblickt dann aber im Inhaltsverzeichnis dreiundzwanzig Kurzgeschichten. Zudem wird beim Lesen der ersten Kurzgeschichte schnell klar, dass es sich nicht um eine Geschichte, sondern um die Einleitung handelt. Hat man das Buch dann aber gelesen, fragt man sich, was das Coverbild überhaupt mit dem Inhalt des Buches zu tun hat.
Das waren die schlechten Nachrichten, kommen wir zu den guten.
Die erste Geschichte ist "Cthulhus Ruf" von Lovecraft selbst. Sie hat den Ruf, DIE Geschichte von Lovecraft zu sein, und obwohl ich dem nicht zustimmen würde, ist sie sehr, sehr gut. Nach dem Tod seines Großonkels kommt der Protagonist mit einem bizarren Manuskript und weiteren seltsamen Vorfällen in Berührung. Die Geschichte liest sich wie ein journalistischer Forschungsbericht und ist durchgehend hervorragend komponiert und geschrieben.
"Des Zauberers Rückkehr" von Clark Ashton Smith ist gut geschrieben und leider zu vorhersehbar. Da sie aber durch eine sehr kristalline Beschreibung ekelhafter Vorgänge besticht, verliert sie nicht an Reiz. Die dritte Geschichte vom selben Autor, "Ubbo-Sathla", ist sehr knapp, ohne Spannung, aber detailversessen für das Universum der Großen Alten. Man kann sie kaum eine Horrorerzählung nennen, sondern eher einen etwas grotesken Erlebnisbericht.
"Der schwarze Stein" von Robert E. Howard gilt als einer der Klassiker, die nicht von Lovecraft geschrieben wurden. Dem kann ich nur zustimmen. Die Geschichte ist intelligent und ironisch geschrieben. Ein neugieriger Forscher kommt in ein abgelegenes Dorf, weil er dort nach einem schwarzen Stein sucht. Er findet ihn auch und begegnet seinen schlimmsten Albträumen.
Die nächsten beiden Geschichten sind von Frank Belknap Long. Beide berichten von Menschen, die nach einer Berührung mit Wesen des Cthulhu-Mythos von diesen verfolgt werden. Beide schildern einerseits den subtilen bis offensichtlichen Schrecken, den diese Begegnung verursacht, wobei "Die Hetzhunde des Tindalos" teilweise dick aufgetragen ist. Etwas störend ist auch die christliche Symbolik, die Long immer wieder anwendet.
August Derleth ist mit ebenfalls zwei Geschichten vertreten. In "Die Bewohner der Dunkelheit" spürt ein Assistent dem Verschwinden seines Professors nach und bekommt unerwartet Hilfe aus dem Jenseits. In "Jenseits der Schwelle" arbeitet ein alter Mann an einer Übersetzung einer Schrift. Sein Enkel macht sich Sorgen um ihn, denn je weiter die Übersetzung voranschreitet, umso unheimlicher werden die Ereignisse, die im Haus stattfinden.
Die nächsten drei Geschichten gehören zusammen. Zwei sind von Robert Bloch geschrieben und die mittlere von Lovecraft selbst. Bloch lässt in der Geschichte "Der Schlächter von den Sternen" ein Alter Ego von Lovecraft sterben, und Lovecraft bedankt sich damit, dass er in "Der leuchtende Trapezoeder" ein Alter Ego von Bloch sterben lässt. Die beiden werden ihren Spaß daran gehabt haben. Die Ironie neben dem Schrecken ist auch für den Leser schön. "Der Schemen am Kirchturm" lässt Bloch ein anderes seiner Alter Ego dem Tod seiner Alter Ego aus dem "Trapezoeder" nachspüren. Diese intellektuelle Verwicklung ist sehr nebenbei in die Geschichte eingeflossen und wird am Ende mit einem großartigen Bild karikiert.
Blochs beste Geschichte hier allerdings ist "Das Notizbuch". Ein Junge kommt zu entfernten Verwandten, nachdem seine Eltern und seine Großmutter gestorben sind und entdeckt die geheimen Tätigkeiten einer grauenvollen Gemeinschaft. Was die Geschichte so reizvoll macht, ist, dass Bloch den schnoddrigen Ton eines zwölfjährigen Jungen durch die Geschichte hindurch nachahmt und so gerade durch die Distanz, die er erzeugt, das Grauen umso besser inszenieren kann.
Es wäre hier sicher zu viel, alle zweiundzwanzig Geschichten genauer vorzustellen. Besonders hervorzuheben sind hier noch vier weitere, ungewöhnliche Geschichten: Zum einen "Mein Boot" von Joanna Russ wegen eines glänzenden Schreibstils, Stephen Kings "Briefe aus Jerusalem" wegen der mit gewohnter Eloquenz geschriebenen spannenden Geschichte, Philipp José Farmers "Das Erstsemester", weil er eine recht ungewohnte Variante in den Mythos einführt, und schließlich "Die Entdeckung der Ghoorischen Zone" von Richard E. Lupoff, der als einziger Vertreter eine Science-fiction-Geschichte beisteuert, die sehr ironisch das Weltgeschehen kommentiert.
Insgesamt ist dieses Buch sehr empfehlenswert. Kenner werden die meisten Geschichten in anderen Ausgaben schon besitzen, aber allen anderen, die mit Lovecraft bisher noch wenig zu tun hatten, bietet die Auswahl einen guten Überblick über die besseren Geschichten. Dabei muss man allerdings die teilweise etwas altertümliche Sprache in Kauf nehmen, die Lovecraft und seine Zeitgenossen gepflegt haben. James Turner, der die Geschichten zusammengestellt und diese in der amerikanischen Ausgabe unter dem Titel "Tales of the Cthulhu Mythos" im Jahr 1990 herausgegeben hat, kann man auf jeden Fall dafür danken. Der Preis ist für 857 Seiten hervorragend, die Geschichten selber sind mit Datum und Ort des ersten Erscheinens und dem Übersetzer ins Deutsche gut dokumentiert. Erwähnen muss man hier auch die tollen Grafiken von Johann Peterka, die jeweils vor jeder Geschichte zu finden sind.
Warum dieser seltsame Titel, dieses unsinnige Titelbild und die Bezeichnung als Roman auf der Front des Buches zu finden ist: das bleibt allerdings ein größeres Rätsel, als die verborgenen, uralten Götter, die jenseits der Schwelle des Universums hausen.