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San Antonio, Texas, ist in den frühen Sechzigern nicht die malerischste Stadt der Vereinigten Staaten, doch ausgerechnet hier ist Doc hängen geblieben. Einst ein anerkannter Arzt und so etwas wie der Leibarzt des Country-Sängers Hank Williams, sorgte seine Drogensucht dafür, dass er dieses Leben hinter sich ließ. Nach Hanks Tod, für den er sich gewissermaßen mitverantwortlich fühlt, driftete er durch das Land, bis er eben in San Antonio wieder sesshaft wurde. Hier lebt er im Ghetto, ist gut mit seinem Drogendealer Big Manny befreundet, hat so etwas ähnliches wie einen Freundeskreis und ist vor allem den Nutten der Gegend, die die unerwünschten Ergebnisse ihrer Arbeit loswerden wollen, zu Diensten. Seiner Meinung nach kommt er aus dieser Gegend nie wieder raus, eigentlich will er es auch gar nicht. Nur Hanks Geist, der ihn seit dessen Tod begleitet, den würde er ganz gerne los werden. Doch auch hierfür stehen die Chancen schlecht.
Als Graciela, Tochter sehr katholischer, mexikanischer Einwanderer, junge 18 Jahre alt und unglücklicherweise schwanger, von ihrem selbstsüchtigen Liebhaber zu Doc gebracht wird, ändert sein Leben sich unmerklich, aber beständig. Graciela kann nach der Abtreibung nicht mehr zurück zu ihrer streng gläubigen Mutter und bleibt so einfach bei Doc, der immer mehr von dieser jungen Frau mit gutem Wesen beeindruckt ist. Sie wird immer mehr zum Mittelpunkt des Viertels und der Tag, an dem die Gruppe auf einem Flugplatz Kennedy sieht, hat weitreichende Folgen für alle.
Der Protagonist Doc ist vom Leben und seiner Drogensucht schwer gebeutelt, aber dem Leser dennoch sehr sympathisch. Stoisch erträgt er die Rebellion seines süchtigen Körpers, ebenso ruhig behandelt er seine Patienten, die zu ihm kommen, weil ein noch zugelassener Arzt entweder zu viele Fragen stellen würde oder zu teuer wäre. Meistens ebenso ruhig erträgt er es auch, dass er vom Geist Hank Williams' verfolgt wird, der sehr genau weiß, wie er Doc manipulieren kann, um weiterhin einen Gesprächspartner zu haben, der das Jenseits weniger langweilig macht. Docs Schuldgefühle wegen Hanks Tod sind der große Hebel, unterstützt von den Drogen führt er lange Gespräche mit Doc. Als Graciela auftaucht und immer wichtiger für Doc wird, nimmt Hanks Eifersucht ins Unermessliche zu. Aber was kann ein Geist schon machen? Seine Verzweiflung darüber wird so menschlich geschildert, dass man doch glaubt, er wäre weiterhin am Leben, nur eben als unsichtbarer Begleiter.
Auch wenn Doc den meisten Raum der Handlung einnimmt und es seine Gedanken und Gefühle sind, die der Leser miterlebt, wandelt Graciela sich immer mehr zur heimlichen Hauptfigur. Alles, was sie tut, scheint zunächst unwichtig, hat aber große Auswirkungen auf Doc und seine Nachbarn. Ganz langsam entdeckt einer nach dem anderen seine Hoffnung wieder, fängt wieder an Lebensmut zu schöpfen. Dabei kann auch Graciela nichts daran ändern, dass das Leben dieser Personen größtenteils trostlos und schwer ist, aber sie kann ihre Einstellung dazu leicht verändern. Obwohl alle von ihnen in der Vergangenheit Fehler machten, die ihnen heute noch anhängen und die sie bis an ihr Lebensende bereuen werden, können auch sie in kleinen Maßen Vergebung erfahren, das ist eine der Kernaussagen. Ein gemeinsamer Ausflug, um John F. Kennedy und seine von ihnen verehrte Frau zu sehen, zeigt diese beginnende Lebensfreude besonders schön. Doch an dem Tag, an dem er stirbt, wird diese fast wieder zerbrochen. So entwickelt sich die Haltung der Figuren analog zur Hoffnung, die große Bevölkerungsteile Amerikas in diesen Präsidenten setzten.
Zusammen mit Gracielas Bedeutung für die Handlung wachsen auch ihre Fähigkeiten, sprichwörtliche Wunder zu wirken. Nicht nur für ihre Freunde, die langsam wieder Hoffnung und Lebensmut gewinnen, sondern auch indem sie Kranke heilen kann, was besonders Doc Sorgen macht.
Sünde, Reue, Buße, Wunder, Vergebung ... Große Themen sind es, die in Steve Earles Debütroman im Vordergrund stehen und Auslöser für so viele Ereignisse sind. Hank Williams Geist steht immer am Rande davon - und ist wohl die einzige Person, die Graciela nicht mag - und ist so ein idealer Kommentator des Geschehens. Auch wenn nicht wirklich klar wird, ob er wirklich als Geist anwesend ist oder bloß ein Hirngespinst Docs ist. Selbst hauptberuflicher Countrysänger gelingt es Earle, die großen Gefühle eines Songs in Buchform zu übertragen. Liebe, Hoffnung, Verzweiflung und Reue sind hier so abgrundtief, dass es einem fast das Herz brechen kann. Wie in einem Lied schafft er es auch, die Handlung durch alle stürmischen Momente (Mord, Drogenabhängigkeit, Verbrechen ...) zu steuern, ohne dass die ruhige Grundstimmung verloren geht.