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 Im Dienst des Diktators

Leben und Flucht eines nordkoreanischen Agenten


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Der 18. Oktober 1994, der Flughafen von Bratislava: Eine Delegation von Nordkoreanern beschließt, vor dem Rückflug in die Heimat noch Souvenirs für die Familie zu Hause zu kaufen. Unter ihnen ist auch der Delegationsleiter Kim Jong Ryul, der sagt, er müsse eine Brille für jemanden besorgen. Treffpunkt am Flughafen ist in zwei Stunden – aber Kim Jong Ryul taucht zum vorgegebenen Zeitpunkt nicht auf. Stunden vergehen und es gibt keine Spur von dem hochrangigen Oberst, der stets als extrem pflichtbewusst, linientreu und überkorrekt galt, von dem man niemals ein schlechtes Wort über sein Land gehört hat. Schließlich fliegt die Gruppe notgedrungen nach Nordkorea zurück, das Schlimmste befürchtend: Ist der hochangesehene Staatsdiener einem Raubmord zum Opfer gefallen?
Was niemand zu diesem Zeitpunkt für möglich hält, ist, dass Kim Jong Ryul, ein sehr enger und über viele Jahre vertrauenswürdiger Mitarbeiter der nordkoreanischen Regierung, dem Regime für immer den Rücken gekehrt hat und in Linz untergetaucht ist.

Die Geschichte von dem Mann, der einer der schlimmsten Diktaturen der Welt im Oktober 1994 nach minutiöser Vorbereitung für immer entfloh, ist wahr. Fünfzehn Jahre nach seiner gut geplanten Flucht aus dem kommunistischen Nordkorea, im Frühling 2009, tauchte Kim Jong Ryul wieder aus der Versenkung auf und stellte Kontakt zu einer österreichischen Journalistin her, die das vorliegende Buch verfasst hat. Herausgekommen ist ein interessanter Einblick in ein Land, aus dem nur wenig Insiderwissen nach außen dringt. "Im Dienst des Diktators" ist somit nicht nur ein spannender Bericht über ein Einzelschicksal, sondern eben auch ein Zeitzeugnis, ein Portrait eines Staates, der in unzähligen Punkten auf westliche Demokratien geradezu irrsinnig wirkt.
Die Autoren Ingrid Steiner-Gashi und Dardan Gashi haben sich entschieden, Kim Jong Ryuls Leben in Form einer in der dritten Person erzählten Biografie zu verarbeiten, die immer wieder lange Abschnitte zu Nordkoreas Geschichte und seinem politischen System enthält. Teilweise noch interessanter und authentischer wäre sicher (zumindest stellenweise) die direkte Wiedergabe einiger aufgezeichneter Gespräche mit dem Flüchtling gewesen; so bleibt vieles etwas oberflächlich, man vermisst mehr persönliche Momente, die hin und wieder durchblitzen und einen Einblick in Ryuls Innenleben und seine Gedankenwelt geben. Aber auch so ist es eine flüssig erzählte Dokumentation eines ungewöhnlichen Lebens geworden, zusätzlich aufbereitet mit vielen Fotos aus dem Privatbesitz von Kim Jong Ryul.

Das Buch steigt mit einem Bericht der geglückten Flucht unmittelbar in das Geschehen ein; nach diesem ersten, geradezu dramatischen Kapitel schlagen die Autoren einen weiten Bogen in die Vergangenheit, berichten von Ryuls von Armut geprägter Kindheit, seinem Maschinenbau-Studium in der ehemaligen DDR (wo er perfekt Deutsch lernte), seiner Rückkehr nach Nordkorea und seinem Aufstieg zu einem bedeutenden und geachteten Mann in einem gefährlichen, extrem repressiven politischen System. Der heute 75-Jährige organisierte viele Jahre lang in aller Welt Konsumgüter und Waffen für die beiden nordkoreanischen Diktatoren Kim Il Sung und Kim Jong Il. Auch Deutschland gehörte zu den Ländern, die Ryul vielfach bereiste, um dort Waren für die nordkoreanische Elite einzukaufen, zum Beispiel massenhaft hochwertige Autos bei der früheren Daimler-Benz AG. Heute hält die deutsche Industrie sich nach eigenen Angaben an das "Luxusembargo", das es seit März 2007 verbietet, Luxusgüter an Nordkorea zu verkaufen.

"Im Dienst des Diktators" ist keine Geschichte von einem, der auszog und dann umgehend ein neues, glückliches Leben fand. Zwar lässt sich den Schilderungen entnehmen, dass es dem Überläufer natürlich besser geht als damals im Dienste der kommunistischen Diktatur, dass er nicht mehr hungert, dass er glücklich und dankbar ist, dem System entronnen zu sein, und dass er viele Freiheiten genießt, die in Nordkorea unmöglich sind. Man liest aber auch Verbitterung und Einsamkeit heraus, Wut auf das ehemals bewunderte Regime und seine Machthaber, auf den "geliebten Führer" – bei jemandem, der seit vielen Jahren mit der ständigen Furcht vor Entdeckung lebt und nie ungezwungen seine anonyme Freiheit genießen kann, natürlich kein Wunder, zumal ja jeder, der sich von Nordkorea abwendet, damit rechnen muss, dass die dort zurückgebliebene Familie in einem Gulag verschwindet und getötet wird. Ein Leben voller Lügen und Täuschung kann natürlich an niemandem spurlos vorbeigehen, zumal Ryul ein so striktes Doppelleben führte, dass nicht einmal seine Familie etwas von seinen Fluchtplänen ahnte.

"Im Dienst des Diktators" ist ein spannender und interessanter Einblick in ein vollkommen anderes, bewegtes Lebensschicksal, in ein fremdes und für uns befremdliches politisches System, basierend auf Erfahrungen aus allererster Hand.

Christina Liebeck



Hardcover | Erschienen: 1. März 2010 | ISBN: 9783800074501 | Preis: 19,95 Euro | 206 Seiten | Sprache: Deutsch

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