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Als der kleine Sejde geboren wird, behaupten drei Männer im Dorf von sich, der Vater zu sein. Sejdes Mutter Judith, von allen drei Anwärtern geliebt und begehrt, legt sich bezüglich der Vaterschaft jedoch nicht fest. Und so hat Sejde künftig drei Väter: den Bauern Rabinowitz und Arbeitgeber Judiths, der ihm Heim und Halbgeschwister zur Verfügung stellt, den rauen Viehhändler Globermann, der ihm Geld und bodenständige Lebensweisheiten schenkt, und den Sonderling und Vogelzüchter Scheinfeld, der Sejde zu Beginn jedes wichtigen Lebensabschnitts ein exquisites Mahl kocht und ihm feinsinnige Erkenntnisse über das Leben, aber auch die Geschichte seiner Mutter Judith weitergibt.
Sejde, der die Mutter zwölfjährig verliert, hat zu keinem seiner Väter eine besonders enge Beziehung und schätzt sie doch alle auf ihre Weise. Außer seiner Mutter sind es vor allem Rabinowitz? Tochter und Sohn aus einer früheren Ehe, somit seine "Halbgeschwister", die ihm sehr nahe stehen.
Nach und nach, ohne dass er explizit danach fragt, erfährt Sejde die rätselhafte und melancholische Geschichte seiner Mutter, die auch die seine ist: von seinen Vätern, insbesondere Scheinfeld, aber auch von seinen "Halbgeschwistern". Wie ein Puzzle setzt sich die Geschichte zusammen. Passende Teile finden sich zu ganz unterschiedlichen Zeiten und werden aus verschiedensten Blickwinkeln angeboten, je nachdem, in welcher Beziehung der jeweilige Erzähler zu Judith stand. Das Puzzle zeigt, wie es dazu kam, dass Judith sich nach einer schrecklichen Enttäuschung auf keine Liebe mehr einlassen wollte. Und wie das Schicksal sie tötete, als sie schließlich nach langer Zeit wieder bereit dazu war.
Unterteilt ist das Buch nach den Mahlzeiten, die Sejde bei Scheinfeld einnimmt. Vier davon gibt es, und diese Abschnitte bestehen wiederum aus je 23 Kapiteln. Sie ergeben ein buntes "Patchwork" aus unterschiedlichsten Annäherungen an Judiths Leben und Liebe; vieles erzählt Scheinfeld, manches hat Sejde, der als Ich-Erzähler auftritt, selbst erlebt, Weiteres teilen ihm andere Bezugspersonen mit, die größtenteils oben aufgeführt sind. Sejdes Welt ist recht klein, erstreckt sich kaum über sein Dorf hinaus, und doch öffnet ihm Scheinfeld die Sinne für eine wesentlich größere Welt.
In diesem Buch geht es um das Leben an sich am Beispiel eines kleinen israelischen Dorfes nicht lange nach dem Zweiten Weltkrieg, vor allem jedoch um die Liebe, die sich, wie Scheinfeld weiß, an einer beliebigen Kleinigkeit, und seien es die Augenbrauen einer Frau, entzünden und ein Leben lang anhalten kann. Behutsam arbeitet der Autor heraus, wie drei ganz unterschiedliche Männer sich in dieselbe Frau verlieben und ihr, alle hartnäckig, doch jeder auf seine Weise, den Hof machen - Scheinfeld poetisch-zart, Globermann derb und indem er sie mit unwillkommenen Geschenken überhäuft, bis er einen besseren Weg findet, und Rabinowitz, indem er einen gepflasterten Weg baut vom Wohnhaus bis zum Stall, wo Judith aus eigenem Entschluss in einem abgeschlossenen Bereich lebt.
Ausschweifend erscheint diese Geschichte, monumental, üppig, und den roten Faden kann man nur bei genauem Hinsehen entdecken; die ganze Entwicklung des Romans, der ja aus lauter Fragmenten besteht, und der Figur Judith erschließt sich jedoch mit der Zeit zunehmend klar.
Farbenfroh und bilderreich, voller Sinnlichkeit - man kann die Orangenhaine regelrecht riechen - schildert der Autor Judiths und Sejdes kleine Welt, ein Dorf mit einem Sammelsurium eigenartiger Charaktere, denen Judenverfolgung und Krieg sowie ihre persönliche Geschichte ihren Stempel aufgedrückt haben. An jüdischem Witz und Humor fehlt es nicht.
Edgar M. Böhlke verleiht dem Roman durch seine Stimme Leben. Er weiß Stimmungen nachzubilden, Spannung aufzubauen und Charaktere schlicht und unaufdringlich, doch authentisch zu präsentieren. So wird die mehr als 13-stündige Lesung dem Zuhörer an keiner Stelle lang.
Auch die gewohnt dezente, aber hochwertige Aufmachung der Kartonbox, der Karton-CD-Hüllen und des Booklets tragen zum sehr guten Eindruck bei. Ein gefühlvoller, melancholischer Roman, lebensprall und warm wie Judiths Heimat, die Jesreel-Ebene, rätselhaft und getragen von jüdischer Erzählkunst - all dies dank dem Sprecher auch als Hörbuch ein Erlebnis!