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Zur Zeit Karls des Großen verteilte sich das frühere Römische Reich auf drei Herrschaftsgebiete: Byzanz mit allmählich schwindendem Einfluss, das Frankenreich und die islamisch geprägten Bereiche von Persien über Arabien, die Levante und Nordafrika bis hin zu weiten Teilen der Iberischen Halbinsel.
Der Verlag Philipp von Zabern präsentiert ein Buch, das sich mit diesen drei Mächten im Einzelnen und ebenso mit den unterschiedlichen Interaktionen und Verknüpfungen zwischen ihnen befasst - Themen, die im Zeitalter der Globalisierung womöglich interessanter sind denn je.
Auf ein Vorwort und eine Einführung folgen die einzelnen Kapitel, die in folgende Abschnitte gegliedert sind: "Mächte am Mittelmeer", "Begegnungen der Kulturen", "Kulturelle Praktiken" und "Moderne Perspektiven". Ein detaillierter, informativer Anhang komplettiert das Buch.
In der Schule wird das karolingische Mittelalter relativ rasch abgehandelt, meist unter der Prämisse "Frankenreich gegen Byzanz mit dem Papst und den Langobarden als eine Art Joker". Nicht nur die dritte zu dieser Zeit maßgebliche Macht, nämlich die islamischen Völker, bleibt bei dieser Betrachtung zu Unrecht außen vor, sondern auch die kulturelle Vielfalt und der weit reichende Austausch zwischen den unterschiedlichen Mächten - kulturell wie wirtschaftlich.
Dieses Buch lässt die meist in der Lehre dominierenden militärischen und machtpolitischen Aspekte natürlich nicht außen vor, doch dominiert eine sowohl globalere als auch detailliertere Sichtweise. "Karl der Große - Ein Global Player?" heißt nicht umsonst das erste Kapitel, und im Abschnitt über die einzelnen Mächte werden nebst ihm und dem Frankenreich sowie Byzanz auch die Juden, die Päpste und ihr Verhältnis zu Karl dem Großen sowie die schon erwähnte arabisch-islamische Welt betrachtet. Diese Völker, Reiche und Nationen - mit der römischen Kirche als Sonderfall - treten auch in den anderen Abschnitten praktisch gleichberechtigt in Erscheinung.
Der Leser staunt über eine überraschend globalisierte Welt schon im 8. und 9. Jahrhundert mit einem florierenden Markt für die unterschiedlichsten Güter, einem weit verbreiteten Austausch von Kunststilen und einer angesichts des Standes von Technik und Verkehrswesen wahrlich verblüffenden Mobilität, in der die Kommunikation zwischen den Reichen auf diversen Ebenen durchaus effektiv stattfand.
Bemerkenswert sind nicht zuletzt die Betrachtungen zur Rezeption und zum "Gebrauch" Karls des Großen über die Jahrhunderte und vor allem in der neueren und neusten Zeit: Karl als großer Europäer und Wiedergeburten seines Reichsgedankens - oder vielleicht die Erfindung desselben durch Nachgeborene, die die historische Figur in ihrem Sinne benutzten und benutzen.
Themenvielfalt und Gehalt des Buchs sind enorm, zugleich haben die Autoren bestens allgemein verständliche und nachvollziehbare Texte geschaffen, die spannend zu lesen sind und ein komplexes, differenziertes Bild der Zeit um 800 entstehen lassen, das sich keineswegs auf das Frankenreich fixiert. Wer Schwerpunkte setzen möchte, kann sich einzelne Kapitel heraussuchen: Die Lektüre des kompletten Buchs ist zum Verständnis einzelner Kapitel nicht notwendig. Doch fesselt jeder Beitrag so sehr, dass man sich gern auch mit weiteren Aspekten befasst.
Zur Qualität des Buchs tragen die zahlreichen hochwertigen Illustrationen bei; nebst Abbildungen von Skulpturen, Münzen, Gebäuden, Waffen, Kunst- und handwerklichen Gegenständen, Buchseiten sowie antikem Kartenmaterial bietet das Buch auch reichlich kartografische Übersichten zum behandelten Ort für eine bestimmte Epoche. Mängel einzelner Karten werden bei einer Rezension auf Amazon.de benannt; als Nichthistorikerin kann ich hierzu nicht Stellung nehmen.
Ganz sicher eines der differenziertesten und dabei bestverständlichen Bücher über die Zeit Karls des Großen, die dadurch nicht zuletzt für den interessierten Laien die ihr zustehende Bedeutung erlangt und dem "finsteren Mittelalter" ein gutes Stück weit Adieu sagen lässt. Dazu trägt auch die Vielzahl der Autoren mit ihren unterschiedlichen Schwerpunkten bei.