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Kinder wissen schon früh, wie sie ihre Eltern in Auseinandersetzungen ziehen können, die diese nicht gewinnen können. Erziehung besteht deshalb meistens aus fruchtlosen, frustrierenden Machtkämpfen, begleitet von ständigem Schimpfen und Strafen, die allzu häufig nichts oder das Gegenteil des Gewünschten bewirken.
In diesem Buch, das vor mehr als dreißig Jahren zum ersten Mal erschien und nun als überarbeitete Neuauflage vorliegt, wird eine Erziehungsstrategie vorgestellt, die an die Eigenverantwortung des Kindes appelliert und an seine Fähigkeit, aus den Konsequenzen seines Handelns zu lernen.
Die Autoren erläutern eingangs, dass die zunehmende Demokratisierung, die unsere Gesellschaft seit wenigen Generationen erfährt, Hauptursache für die heutigen Erziehungsschwierigkeiten ist. In früheren Zeiten, als die Gesellschaft wie auch die Familie autoritär strukturiert war und keiner die Befugnisse des Vaters anzweifelte, kamen Kinder und Jugendliche nicht auf die Idee, Mitbestimmung einzufordern; heute sehen sie, dass dies anscheinend jeder außer ihnen erfolgreich tun kann. Das sorgt den Autoren zufolge für den bekannten Verdruss und die Aufsässigkeit, auch für die Anfälligkeit zur Kriminalität der heutigen Kinder. Strafen nützen nichts in einer Gesellschaft, in der Autorität nicht anerkannt wird, zumal sie zumeist weder zeitlich noch inhaltlich mit dem Fehlverhalten in Zusammenhang stehen.
Im Buch kann sich der Leser über eine andere Strategie informieren, die daraus besteht, dass man bestimmte Regeln in einem demokratischen Familienrat festlegt. Falls beispielsweise eine aus Kindern bestehende Mehrheit für unbegrenztes Ausgehen ohne Abmeldung votiert, so sollten die Eltern dies annehmen und ebenfalls, ohne Bescheid zu geben, verschwinden. Erledigt ein Kind die abgesprochenen Pflichten im Haushalt nicht, so verzichtet die Mutter konsequent darauf, für es Essen zuzubereiten, Wäsche zu waschen und zu bügeln. Trödelt das Kind morgens, lässt man es eben zu spät zur Schule kommen - alles ohne erhobenen Zeigefinger und Erläuterung: Das Kind erkennt selbst, welche Folgen sich aus seinem Handeln ergeben.
In vielen Situationen ist diese Strategie in der Tat sinnvoll, zumal es, was die Autoren hervorheben, auf diese Weise nicht zum Gesichtsverlust einer der beiden Seiten kommt, der sich bei den üblichen Streitereien und Strafen nie vermeiden lässt. Das Kind hat im Prinzip die Wahl, ob es sich in die familiären und gesellschaftlichen Regeln einfügen will, die, wie es feststellt, auch zu seinen Gunsten bestehen, oder nicht, wodurch ihm unangenehme Folgen entstehen.
Trotzdem sind einige Punkte zu hinterfragen, zum Beispiel, ob man unerwünschtes Verhalten nicht auch dadurch abstellen kann, dass man mit dem Kind in einem ruhigen, aggressionsfreien Moment darüber spricht und den eigenen Standpunkt sachlich erläutert. Und ob es wirklich keinen Gesichtsverlust für das Kind bewirkt, wenn man es hier und da doch regelrecht in ein offenes Messer laufen lässt? Wie sieht das Verhältnis des Kindes zu den Eltern, die das zulassen, anschließend aus? Zumindest sollten die Eltern gut abwägen, wie viel Verantwortung ihr Kind bereits übernehmen kann, beziehungsweise ob es in der Lage ist, Konsequenzen aus einem bestimmten Verhalten zu überschauen.
Auch irritiert an diesem Ratgeber ein wenig, dass mehrmals der Begriff "böses Kind" als Kontrast zum "guten Kind" gebraucht wird: gewiss keine glückliche Wahl! Unsichere Erziehende könnten anhand dieses Buchs zudem jedes Fehlverhalten ihres Kindes als einen zu verurteilenden Versuch deuten, Aufmerksamkeit zu erringen, da die Autoren dies stets so zu interpretieren scheinen. Auch wenn es wohl nicht so gemeint ist, erscheinen Kinder im Buch als berechnende, machthungrige Kreaturen; die Erfahrung lehrt jedoch, dass dies nur ein Aspekt ihrer Natur ist und sie darüber hinaus auch ganz wundervolle Seiten haben, jedes seine eigenen, und dass eine Forderung nach Beachtung zuweilen durchaus berechtigt ist.
Zu empfehlen ist der Ratgeber insgesamt durchaus, da es, wie gesagt, viele Fälle gibt, in denen sich die vorgeschlagene Strategie empfiehlt: Kinder vor die Wahl zu stellen, sich entweder den Regeln zu fügen oder mit den Konsequenzen zurechtzukommen, die sich aus davon abweichendem Verhalten ergeben - und ihnen somit, wo möglich, die Verantwortung für ihr Handeln zu überlassen.