Die essayistischen Werke "Kulturgeschichte der Neuzeit" und "Kulturgeschichte des Altertums" des österreichischen Schriftstellers Egon Friedell (1878 bis 1938) hatten zur Zeit ihrer Veröffentlichung in den Jahren 1927 bis 1931 und 1936 starken Einfluss auf die Meinung ihrer Leserschaft - ein Einfluss, der aus Sicht des ab 1933 unter dem Regime der Nationalsozialisten stehenden Deutschlands viel zu stark war. Nachdem Friedells Werke in Deutschland Ende 1937 zunächst beschlagnahmt worden waren, wurde 1938 ein Verbot auf Egon Friedells "Kulturgeschichte" erhoben. Als schließlich am 16. März 1938 - Österreich hatte den "Anschluss" an das Dritte Reich mittlerweile begrüßt - zwei SA-Beamte vor dem Haus Friedells erschienen, um den Schriftsteller jüdischer Abstammung abzuholen, beging dieser aus Angst vor einer Festnahme Selbstmord, indem er sich aus einem Fenster stürzte.

Die "Kulturgeschichte Ägyptens und des Alten Orients" ist als 1936 veröffentlichter erster Teil der "Kulturgeschichte des Altertums" - der zweite Teil, "Kulturgeschichte Griechenlands", wurde 1940 posthum veröffentlicht, eine Gesamtausgabe beider Teile erschien 1949 - das letzte vor dem Selbstmord Friedells erschienene Werk des Schriftstellers. Darin fokussiert Friedell seinen Blick auf die Bräuche, Gewohnheiten und Riten im Alten Ägypten und im Alten Orient, erzählt von Astrologie, von Klima, Vegetation, Handel, Schrift und Kalender, von Pyramiden, Pharaonen und Dynastien, vom Zweistromland, den Hethitern, Tyriern und Phönikern, von Babylon, Vorderasien und Arabien.

Auf vier CDs mit einer Gesamtlaufzeit von 305 Minuten verteilt bekommt der Hörer des vorliegenden Hörbuchs eine ungeheure Menge an Wissen und Daten vorgesetzt, die der Autor in seinem geschichtlichen Werk jedoch anschaulich darstellt. Dennoch stellt die "Kulturgeschichte Ägyptens und des Alten Orients" einen nicht geringen Anspruch an seinen Hörer, setzt sogar eine gewisse Vorkenntnis zum Thema voraus. Vor Fachbegriffen wird nicht gescheut, und obwohl diese meist auch erklärt werden, bleibt der Laie das eine oder andere Mal verwirrt auf der Strecke, muss sich verschiedene Passagen der Ausführungen wiederholt anhören, um ihren Inhalt vollends zu begreifen. Doch stellt ebendieser Anspruch auch einen gewissen Reiz dar, der das Hören des ersten Teils der "Kulturgeschichte des Altertum" zu einer besonderen Herausforderung macht.

Manko der Ausführungen Friedells ist wohl aber dessen Fixierung auf religiöse und spirituelle Aspekte, die den Hörer als stets wiederkehrende Motive über fünf Stunden hinweg begleiten. Nun mag diese Sichtweise dem Zeitgeist Friedells entsprechen - wie bereits erwähnt, entstand die "Kulturgeschichte des Altertums" in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts, aus heutiger, geschichtswissenschaftlicher Sicht ist allein der spirituelle Blickwinkel jedoch nicht mehr ausreichend. Was fehlt, sind wissenschaftliche Erkenntnisse, die auf fundierten und nachgewiesenen Tatsachen beruhen. Auch darf der Hörer - in Bezug auf auf das Erscheinungsdatum des Originaltextes - nicht erwarten, dem vorliegenden Hörbuch neueste Erkenntnisse der Archäologie entnehmen zu können, die seit den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts durchaus große Fortschritte und Entdeckungen gemacht hat.

Achim Höppner, bekannt als Synchron- und Hörbuchsprecher, trägt das gesammelte Wissen Egon Friedells mit ruhiger, aussagekräftiger Stimme vor, die den Hörer auf eine tonlich sehr angenehme Reise in die Vergangenheit mitnimmt. Höppner, der den komplexen Inhalt des Hörbuches auf eine Weise artikuliert, dass er nicht mehr ganz so anspruchsvoll zu sein scheint, verleiht den Ausführungen Friedells eine Stimme, der es sich zu lauschen lohnt und der man auch nach wiederholtem Hörer anspruchsvoller Passagen noch gerne zuhört.

Fazit:
Die "Kulturgeschichte Ägyptens und des Alten Orients" bietet ein Kompendium an anspruchsvollem Wissen, dessen einziges Manko neben der fehlenden Aktualität ist, dass seine Fixierung zu sehr im theologisch-spirituellen Bereich liegt. Achim Höppner führt als Sprecher sachlich und gekonnt durch die essayistischen Ausführungen Friedells und bereitet dem Hörer dadurch viel Freude.