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Ob nun euphorisch begrüßt oder argwöhnisch beäugt – der 'cultural turn' hat in den Geisteswissenschaften tiefe Spuren hinterlassen, und kein ernstzunehmender Wissenschaftler, kein ambitionierter Student geisteswissenschaftlicher Disziplinen kommt darum herum, sich mit den diskursbestimmenden Stichwortgebern dieser kulturellen Wende auseinander zu setzen. Wer sich nicht gleich ganz auf sich alleine gestellt in die teilweise äußerst komplexen Primärtexte hineinstürzen will, der kann sich mit Einführungen in die maßgeblichen theoretischen Ansätze zunächst einen Überblick verschaffen, von dem aus die Kenntnisse dann vertieft werden können oder auch das Gelesene in einer eingängigen Zusammenfassung noch einmal rekapitulieren und hinterfragen.
Eine solche Möglichkeit bietet die "Einführung in Schlüsseltexte der Kulturwissenschaften", mit der sich der Wiener Kulturwissenschaftler Wolfgang Müller-Funk insbesondere an Studierende wendet, die nicht nur ein "Handbuch [suchen], um sich mechanisch Begriffsapparaturen anzueignen, sondern um zu verstehen, wie und warum die betreffenden Theoretiker bzw. Theoretikerinnen auf ihre Begriffe gekommen sind, warum sie diese oder jene Denkform ausgebildet haben" (S. XVf.).
Nach einführenden Worten zum Begriff der Kulturwissenschaften bzw. zur angelsächsischen Variante, den Cultural Studies, setzt sich der Autor in fünfzehn Kapiteln mit international einflussreichen Kulturtheorien vornehmlich aus dem deutsch- und französischsprachigen sowie aus dem angelsächsischen Bereich auseinander. Neben den dreizehn Kapiteln, die bereits in der ersten Auflage von 2006 zu finden sind, wurden in der zweiten Auflage von 2010 zwei neue Kapitel aufgenommen, zum einen zu Michail Bachtins Konzept des Chronotopos, zum anderen zu den theoretischen Ansätzen der niederländischen Kunsthistorikerin und Literaturwissenschaftlerin Mieke Bal.
Außer diesen Neuzugängen behandelt Müller-Funk zunächst die Einflüsse T.S. Eliots auf die Anfänge der Cultural Studies in England, Sigmund Freuds Psychoanalyse als eine Kulturtheorie des Unbewussten und Ernst Cassirers Theorie der symbolischen Formen als philosophische Begründung von Kulturtheorie. Ein Kapitel widmet sich dem Einfluss des Denkens Giambattista Vicos und Johann Gottfried Herders auf die spätere Kulturwissenschaft.
Behandelt werden außerdem Schlüsseltexte von Georg Simmel (zu Geld und Mode), Roland Barthes (vor allem sein Essayband "Mythologies", dt.: "Mythen des Alltags") und Clifford Geetz ("Dichte Beschreibung"). Selbstverständlich darf ein Kapitel zur Kritischen Theorie mit ihren Protagonisten der Frankfurter Schule, Max Horkheimer und Theodor W. Adorno sowie ihrem frühen Stichwortgeber Walter Benjamin ebenso wenig fehlen wie eines zu einem der im 20. Jahrhundert durch die Disziplinen hinweg wohl einflussreichsten Kulturtheoretiker: Michel Foucault. Als Schlüsselfigur der Cultural Studies steht der Brite Stuart Hall im Mittelpunkt eines Kapitels. Weitere Kapitel behandeln René Girards Überlegungen zum Zusammenhang von Sakralem und Gewalt sowie die Gedanken Paul Ricoeur zur Narrativität von Kulturen aus seinem Hauptwerk "Zeit und Erzählung".
In einer gelungenen Mischung aus zusammenhängender Argumentation, die auch Brücken zwischen den einzelnen Kapitel schlägt, und Schlagwortpräsentation, gibt Wolfgang Müller-Funk einen gut nachvollziehbaren Einblick in das Denken der vorgestellten Autoren, dankenswerterweise ohne dabei vorzugeben, dieses umfassend, abschließend und in konsumierbare 'Bachelor-Häppchen' portioniert darbieten zu können. Anliegen ist es eher, die Grundlage für weiterführende Lektüren und eine eigene Auseinandersetzung mit den jeweiligen Ansätzen zu schaffen sowie die Heterogenität kulturwissenschaftlicher Zugänge aufzuzeigen. Besonders sinnvoll erscheint in diesem Zusammenhang, dass jedes Kapitel nicht etwa mit einer abschließenden Zusammenfassung endet, sondern mit stichwortartig formulierten Anmerkungen und möglichen Kritikpunkten sowie einer Bibliografie zum jeweiligen Thema, mit deren Hilfe der Leser seiner Beschäftigung mit einzelnen Theorien neues Futter geben kann. Ein Schlagwortregister ermöglicht außerdem die Suche nach einzelnen Schlüsselbegriffen.
Über die Auswahl der behandelten Autoren und Autorinnen ließe sich sicherlich streiten, dem einen werden vielleicht Protagonisten der Gender Studies fehlen, anderen kommen die Postcolonial Studies zu kurz usw. Genau dieses Problem macht der Autor jedoch selbst transparent. Einen für alle gültigen Kanon der 'wichtigsten' kulturwissenschaftlichen Denker kann es nicht geben, da wird schon jeder selbst suchen und mehr als eine Einführung lesen müssen.
Fazit: Wolfgang Müller-Funks "Kulturtheorie – Einführung in Schlüsseltexte der Kulturwissenschaften" bietet im Rahmen des Möglichen, der bei einem so breiten Thema selbstredend sehr begrenzt ist, eine brauchbare Lektüre für alle, die einen Einblick in die noch immer bestimmenden kulturtheoretischen Diskurse gewinnen wollen.