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 Letztendlich sind wir dem Universum egal

Autoren: David Levithan
Übersetzer: Martina Tichy
Verlag: Fischer

Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Gefühl
Humor
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Ich werde wach. Und muss auf der Stelle herausfinden, wer ich bin. Nicht nur äußerlich - die Augen aufschlagen und nachsehen, ob ich am Arm helle oder dunkle Haut habe, ob meine Haare lang oder kurz sind, ob ich dick oder dünn bin, Junge oder Mädchen, voller Schrammen und Narben oder glatt und unversehrt.
Darauf stellt man sich am leichtesten ein, wenn man es gewöhnt ist, jeden Morgen in einem neuen Körper aufzuwachen. Aber das Leben darum herum, das Umfeld - das ist manchmal schwer in den Griff zu bekommen.


A erwacht jeden Tag im Körper eines anderen Menschen und lebt dessen Leben - allerdings immer nur für einen einzigen Tag. Geht A am Abend schlafen, so beginnt das Spiel von vorne und am nächsten Tag ist es eine ganz andere Person, in deren Körper A sich wiederfindet. Dies geschieht, solange A sich zurückerinnern kann: Tausende und Abertausende von Identitäten, die A alle nicht über 24 Stunden hinaushalten kann und die nur als vage Erinnerung zurückbleiben. Aber dann ändert sich alles. Als A in den Körper des Sechzehnjährigen Justin schlüpft, verliebt er sich in dessen Freundin Rhiannon. A weiß, dass ihre Liebe so gut wie keine Chance hat - zum einen hat Rhiannon keine Ahnung, dass sie den Tag nicht mit Justin, sondern mit jemand ganz anderem verbringt; zum anderen weiß A, dass er am nächsten Tag schon wieder jemand ganz anderes sein wird - mal ein Junge, mal ein Mädchen, mal dick, mal dünn, mal glücklich, mal unglücklich. Doch diesmal ist A bereit zu kämpfen und Rhiannons Liebe zu gewinnen. Doch wie soll das funktionieren, wenn man keine feste Identität hat und jeden Tag jemand anderes ist?

"Letztendlich sind wir dem Universum egal" von David Levithan spielt mit einer extrem reizvollen Ausgangssituation: Der Protagonist - oder die Protagonistin, das bleibt ungeklärt und eben diese Doppeldeutigkeit ist von entscheidender Bedeutung - findet sich jeden Tag in einem anderen Körper und damit mitten in einem fremden Leben wieder.
Da A, wie er (oder sie) sich mangels einer Familie und eines Namens nennt, auf die Erinnerungen und das Wissen der Personen zurückgreifen kann, kann er deren Alltag meist einigermaßen gut imitieren und sich ohne größere Probleme als der Mensch ausgeben, dem er gerade innewohnt.
Als A sich nach mehreren Tausend solcher Wechsel aber in ein sechzehnjähriges Mädchen verliebt, erwacht zum ersten Mal der starke Wunsch, etwas zu ändern und sein unfassbares Geheimnis jemandem zu offenbaren.

So weit, so spannend! Levithan nutzt die unendlichen Möglichkeiten des vielversprechenden Konzeptes sehr gut aus und erzählt hauptsächlich eine Geschichte über Toleranz. Dabei werden spannende und interessante Fragen aufgeworfen: Was macht uns aus, unser Äußeres, unser Innenleben oder beides zusammen? Könnten wir jemanden lieben, der mal ein Mann, mal eine Frau ist, mal übergewichtig, mal sportlich, mal schön, mal hässlich? Spielt es eine Rolle, welche sexuelle Identität wir haben?
A's Botschaft ist eindeutig: Nur auf die Person kommt es an, Geschlecht und Aussehen sind völlig irrelevant. Diese "Verleugnung" biologischer Unterschiede ist einerseits spannend und provokant, sie regt zum Nachdenken eigener Verhaltensmuster an. Andererseits nervt der Roman - oder sein Protagonist A - mit seiner strikten Sicht der Dinge irgendwann doch ein wenig (zudem A auch ganz und gar nicht erfreut ist, als er im Körper eines extrem übergewichtigen Jungen aufwacht - dieses Leben will er also schon mal nicht haben). Als Rhiannon offenbart, dass es für sie sehr wohl einen Unterschied macht, ob A einen männlichen oder einen weiblichen Körper hat, reagiert A mit Unverständnis - und leugnet die Realität, um die Liebe auf eine höhere Ebene zu heben.

Die philosophischen Fragen und die vielen Einfälle und Einblicke, die der Autor mit diesem Roman aufwirft, sind definitiv packend und clever, zudem noch flüssig geschrieben und verpackt in eine anrührende und inspirierende Liebesgeschichte. Der Leser weiß nie, wohin (beziehungsweise in wen) es A heute verschlägt. Die einzelnen Schicksale der unterschiedlichen Menschen sind allein schon sehr unterhaltsam: Manche Personen sind glücklich, manche gleichgültig, manche depressiv. Einige sind beliebt, viele sind einsam, manche haben ein schreckliches Schicksal, andere offensichtlich das große Los gezogen.

Trotz seiner Stärken und der großartigen Ausgangsidee besitzt der Roman aber auch einige Schwächen und haufenweise Logiklücken. A ist, bei Licht betrachtet, nicht ganz der durch und durch sympathische Protagonist, den David Levithan hier zu schaffen versucht hat. Seine Liebe zur Rhiannon hat etwas von einer unangenehmen Besessenheit, die ein wenig an Stalking erinnert; außerdem kommt die tiefe Liebe in diese Roman viel zu schnell und wirkt, als hätte Levithan sie jeweils so hingebogen, wie es für den Plot gut passt. Zudem irritiert A's Sicht der Dinge: Er bemüht sich zumindest am Anfang, die Leben seiner "Wirte" nicht zu ändern und sich unauffällig zu benehmen. Im Verlauf des Romans beginnt A aber, die Leute, deren Körper er für einen Tag steuert, erheblich aus der Bahn zu werfen - zwar für das höhere Ziel der Liebe, dennoch nicht vertretbar, da A sich immer als sehr moralisch und anständig darstellt und die Idee, andere könnten von ihm "besessen" sein, ihn entsetzt. Nicht zuletzt wirft "Letztendlich sind wir dem Universum egal" mehr Fragen auf, als der Autor beantwortet; wo es brenzlig wird, fehlt so manche Erklärung - vor allem das Ende ist unbefriedigend.

Fazit: Es fällt trotz der genannten Kritikpunkte schwer, dieses Buch nicht zu mögen - dafür ist es zu fantasievoll und zu ansprechend geschrieben. "Letztendlich sind wir dem Universum egal" besitzt eine enorm reizvolle Ausgangsidee und erzählt eine anrührende Romanze voller philosophischer Denkanstöße und guter Ideen. Doch zahlreiche Logiklücken, fehlende Erklärungen und ein Protagonist, der durch und durch rechtschaffen wirken will und es nicht ist, ziehen das Buch leicht nach unten. Wer sich daran nicht stört und einfach nur eine schöne und tragische Teenie-Liebesgeschichte mit einer abgedrehten Ausgangsidee lesen möchte, liegt hier goldrichtig.

Eine Leseprobe gibt es hier auf der Website des Verlags.

Christina Liebeck



Hardcover | Erschienen: 27. März 2014 | ISBN: 978-3841422194 | Originaltitel: Every Day | Preis: 16,99 Euro | 400 Seiten | Sprache: Deutsch

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