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Eine Frau und ein kleines Mädchen betreten hektisch eine öffentliche Toilette. Wo befinden wir uns? Ihre Haare sind zerzaust, an ihren Kleidern und in ihren Gesichtern klebt Blut. Wessen Blut ist das? Sie sind panisch, verängstigt, stammeln abgehackte Sätze vor sich hin. Was ist geschehen? Das Mädchen weint, die Frau versucht, den Überblick zu behalten - doch es gelingt ihr kaum. Durch welchen Albtraum sind die beiden gegangen? Die kryptische Eröffnung bildet den Auftakt des englischen Thrillers "London to Brighton" - rasant, hart, mitten im Geschehen. All die Fragen, die der Anfang aufwirft, wird der bei Ascot Elite Home Entertainment erschienene Film nach und nach klären.
Schnell findet der Zuschauer heraus, worum es in groben Zügen geht: Die Frau ist die Prostituierte Kelly (Lorraine Stanley), die von ihrem Zuhälter Derek (Johnny Harris) angewiesen wurde, jemanden zu einem Treffen zu begleiten. Jemanden, das heißt in diesem Fall das Mädchen, die zwölfjährige Ausreißerin Joanne (Georgia Groome). Ein Treffen, das bedeutet eine Verabredung mit einem reichen Perversen, der Derek gebeten hatte, ihm ein junges Mädchen zu schicken. Was genau an jenem Abend passiert ist, wird erst am Ende preisgegeben. Fest steht nur, dass Joanne und Kelly auf der Flucht sind - vor Derek und dessen skrupellosen Auftraggebern, die unter allen Umständen verhindern wollen, dass die Geschehnisse jemals an die Öffentlichkeit gelangen. Eine Jagd auf Leben und Tod beginnt - und sie führt vom Moloch London in die beschauliche Küstenstadt Brighton
Direkt, detailliert, realistisch, mutig - so kann man "London to Brighton" mit wenigen Worten beschreiben. Der englische Newcomer Paul Andrew Williams inszeniert diesen Independent-Spielfilm als Geschichte einer halsbrecherischen Flucht, die virtuos mit zwei ganz unterschiedlichen Genres jongliert: auf der einen Seite das Sozialporträt, das zwischenmenschliche und gesellschaftliche Aspekte in bildgewaltige Emotionen umsetzt; auf der anderen Seite der dreckige Thriller, der Spannung bis zur letzten Minute verspricht - und auch hält. Dass Williams hierfür das heikle Thema Kindesmissbrauch bemüht, ist mitnichten nur als Brisanz-Vehikel zu verstehen; vielmehr behandelt der Film die Opferperspektive sehr ernst, differenziert und mit allem gebotenen Respekt, den diese Grenzerfahrung unbedingt braucht. Die Machtlosigkeit und Angst, die Verzweiflung und der psychische Schmerz von Joanne werden in Georgia Groomes intuitiver Darstellung offenbar - ohne Zweifel ist dieses Mädchen eine der größten Schauspielentdeckungen der letzten Jahre. Strukturell spielt "London to Brighton" den Rückblenden-Trumpf voll aus: Dadurch, dass der Zuschauer erst nach und nach über Gespräche und Zeitsprünge erfährt, wie es eigentlich zu Joannes und Kellys Flucht kam, wird die an sich recht simple, schnörkellose Handlung zu einem unheimlich wirkungsvollen Abschluss geführt. Ehe man sich versieht, ist der Film vorbei - und lässt einen mit dem Gefühl zurück, dass man so etwas Gutes nicht alle Tage zu sehen bekommt. Vielleicht ist "London to Brighton" nicht, wie The Big Issue vollmundig verkündet, "der beste britische Film des Jahrhunderts". Aber mit Sicherheit ist er ein Film, der bewegt, im Gedächtnis haften bleibt und im DVD-Regal sicher nicht verstauben wird - kurz gesagt: ein großer, beeindruckend verantwortungsvoller Moment des Thrillerkinos.
Die DVD von Ascot Elite bietet den Film in für einen Independent-Werk angemessen guter Bild- und Tonqualität. Die Extras geben mit einem Audiokommentar, Szenen vom Casting, einer Beim-Dreh-Featurette und einer Fragerunde mit den Machern Einblicke in die Entstehung. Mehr "London to Brighton" zeigen die Deleted Scenes und ein alternatives Ende; einige Trailer runden die gelungene Umsetzung ab.
Fazit: Keine Verschnaufpause, keine Beschönigungen, keine halben Sachen - knüppelharte und sehr ernste Independent-Kost für Fortgeschrittene.