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Vincent van Gogh ist eine Ikone der Moderne - kaum ein Künstler hat nachfolgende Generationen so sehr inspiriert wie er. Dazu trugen auch posthum geschaffene "Mythen" bei wie jene vom wirtschaftlich völlig erfolglosen, geisteskranken Künstler, die, durchaus auch gezielt, zur Verklärung des Malers führten.
Zum Glück unberührt von "Corona" fand im Frankfurter Städel Museum vom 23. Oktober 2019 bis zum 16. Februar 2020 eine Ausstellung zu Vincent van Gogh statt, die den Fokus nicht nur auf das Arbeiten und die Bedeutung des Künstlers lenkte, sondern auch auf das spezielle Verhältnis der Deutschen zu ihm, nicht zuletzt mit dem Nationalsozialismus als Prämisse.
Zehn Essays greifen sehr unterschiedliche Themen auf, darunter die Rezeption van Goghs in Frankreich und den Niederlanden, vor allem aber in Deutschland, und die tragischen Geschichten von Van-Gogh-Werken während des Nationalsozialismus, wozu das Städel mit dem ihm einst eigenen Werk "Bildnis des Dr. Gachet" beitragen kann und dies auch intensiv tut.
Den Löwenanteil des Buchs nimmt erwartungsgemäß der eigentliche Katalog ein mit den Themen "Van-Gogh-Ausstellungen in Deutschland", "Erwerbungen von Museen und Privatsammlern", "Zeichnungen", "Selbstbildnisse", "Vom einfachen Leben", "Rhythmus und Struktur", "Van Goghina", "Fläche" und "Maler der Sonne". Im Anhang finden sich Biografie und künstlerisches Zeitgeschehen, eine Auflistung der Ausstellungen mit Werken van Goghs in Deutschland 1901 – 1914, Literaturzitate, Impressum und Bild- und Künstlerrechtenachweis.
Van Gogh wird gerne in Schubladen gepackt – psychisch krank, zu Lebzeiten völlig erfolglos, Wegbereiter der Moderne und so weiter. Wer sich auf das hier besprochene Buch einlässt, muss bereit sein, ein wenig Abstand zu nehmen von diesen schönen, dramatisch-romantischen Klischees. Denn das Werk zeigt auf, dass van Gogh nicht unbedingt der armselige, verkannte Bohemien war, als der er so gern dargestellt wird.
Darüber hinaus bot das Städel auch durchaus eine Ausstellung in eigener Sache, hatte es doch das bereits erwähnte "Bildnis des Dr. Gachet" zunächst erworben und dann als so genannte "entartete Kunst" verloren. Essays und Katalog betrachten die Entwicklung van Goghs, vor allem aber die Rezeption seiner Werke nach seinem Tod – für die nicht zuletzt seine Schwägerin Johanna van Gogh-Bonger verantwortlich war, die den Nachlass ihres bald nach Vincents Tod verstorbenen Mannes Theo mit einigem Geschick verwaltete. Den Galeristen, Kunsthändlern, -sammlern, sonstigen Mäzenen und nicht zuletzt Museumsdirektoren wird ein angemessener Platz eingeräumt, denn sie hatten einen enormen Anteil an "Making Van Gogh" – und dies, so zeigt dieses Buch ebenfalls auf, führte zu einem massiven Einfluss van Goghs auf moderne Künstler, nicht zuletzt auf die "Brücke".
Während die Essays das erforderliche Hintergrundwissen – und noch einiges darüber hinaus – bieten, finden sich im eigentlichen Katalog die Exponate der Ausstellung: Werke von van Gogh, ebenso jedoch Kunst von jungen Malern, die sich von ihm inspirieren ließen. Hier und da finden sich Fotografien als Beweise von Diebstahl im Sinne von Raubkunst des Dritten Reiches. In erschütternder Weise zeigen sie auf, wie Werke von van Gogh in das unmittelbare Umfeld von Menschen integriert waren, die schließlich Opfer von Verfolgung und Enteignung wurden. Es berührt zutiefst.
Ebenso sind es die Geschichten der Museumsdirektoren, die faszinieren und schmerzen. Im Buch finden sich Porträts von Männern, die sich der Kunst verschrieben hatten und am Nationalsozialismus scheiterten. Ihre verzweifelten Versuche, zu retten, was zu retten war, rühren den Leser an und zeigen auf, was ein totalitäres Umfeld im Kulturbetrieb anrichten kann.
Überwiegend erhalten die Abbildungen der einzelnen Exponate je eine Seite für sich und können so überzeugen. Dank der exzellenten Wiedergabe lässt sich bisweilen auch van Goghs – oder seiner Anhänger – Technik nachvollziehen, zumindest erahnen, bieten doch kräftige Kontraste die Möglichkeit, etwa einen pastosen Farbauftrag oder den Einsatz direkt aus der Tube, hier und da auch mit weiteren Hilfsmitteln zu erkennen. In dezenter Anbringung finden sich die Daten zu den Kunstwerken.
Ein vielschichtiges, aufwändig gestaltetes, qualitativ in jeder Hinsicht hochwertiges Werk, das auch allen Kunstinteressierten zu empfehlen ist, denen ein Besuch der Frankfurter Ausstellung nicht möglich war.
Ein Blick ins Buch wird auf der Verlagsseite angeboten.