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Es beginnt als ein Spiel aus Langeweile, aber es läuft schnell völlig aus dem Ruder. Jori, Dany und Leonie sind die unbestrittenen Königinnen an ihrer Schule. Schön und reich, werden sie wie etwas Besseres behandelt – und halten sich auch dafür. Bis sie es in den Sommerferien am heimischen Pool übertreiben. Ihr Versuch, den gut gebauten, aber schüchternen Jungen zu verführen, der als Aushilfsgärtner bei Joris Eltern jobbt, geht nach hinten los. Der Fremde verschwindet, zurück bleibt nur eine kryptische Nachricht: drei Streichholzschachteln, die im Pool treiben. Sie alle beinhalten dieselbe Nachricht: "Ich kenne deine schmutzigen Geheimnisse." Weiter geschieht nichts. Bis zum ersten Tag des neuen Schuljahres. Über dem Eingang fragt ein knallroter Schriftzug die Schüler: "Kennst du die schmutzigen Geheimnisse deiner Mitschülerinnen?" Darunter steht eine Webadresse. Was folgt, ist eine Hetzjagd im Internet, bei der Jori, Dany und Leonie im Fokus stehen. Der Unbekannte, der sich im Web Matchbox-Boy nennt, hat den Spieß umgedreht, um sich an den drei Freundinnen zu rächen. Aus Tätern werden Opfer, die der Willkür ihrer Mitschüler ausgeliefert sind, welche wiederum in der Anonymität des Internets jegliche Moral zu vergessen scheinen. Sie sind es, die bestimmen, ob die bisher gut gehüteten Geheimnisse der Mädchen gelüftet und diese so einer öffentlichen Demütigung preisgegeben werden sollen. Aus den gefeierten Königinnen der Schule werden schnell gefallene Engel ...
Mit "Matchbox Boy" nimmt sich die Schweizer Autorin Alice Gabathuler eines brisanten und wichtigen Themas an, das nach den Selbstmorden des 20-jährigen Niederländers Tim Ribberink und der erst 15-jährigen Kanadierin Amanda Todd vor wenigen Wochen hochaktuell ist. Die Autorin schildert fesselnd und realistisch, wie schnell eine solche Hetzjagd aus dem Ruder laufen kann, und vergisst darüber hinaus auch nicht, eine spannende Geschichte zu erzählen.
Gabathuler kann schreiben: Sie orientiert sich an der Jugendsprache, ohne dass dies flapsig wirkt, und schafft authentische, nur leicht überzeichnete Charaktere, die Identifikationspotential bieten und nicht so weichgespült und perfekt daherkommen wie in so manch anderem Jugendbuch. Gabathulers Charaktere hier haben keine Pseudo-Macken, sondern real wirkende Schwächen und Bedürfnisse. Dadurch, dass sie in der Handlung ständig zwischen Gegenwart (November) und Vergangenheit (Juli / August) hin und her springt, schraubt sie geschickt die Spannung immer höher und kann gleich mit einem Knall starten, ohne dass der Leser zu viele Backgroundinformationen vermisst. Interessant ist es auch, die Reaktionen von Lehrkräften, Eltern und Mitschülern – beliebten wie Außenseitern – auf die Ereignisse zu beobachten. Hier beweist die Autorin Einfühlungsvermögen.
Leider bleiben sowohl Dany als auch Leonie etwas an der Oberfläche. Der Leser erfährt nicht viel von ihnen und beide verabschieden sich recht zügig aus der Geschichte. Auch die Auflösung des Geheimnisses, das den Matchbox Boy betrifft, überzeugt nicht ganz. Dafür ist der Autorin mit Jori, der Ich-Erzählerin, allerdings ein sehr ehrlicher Charakter gelungen, der sowohl sympathische als auch unsympathische Charakterzüge in sich vereint und sich im Verlauf des Buches verändert und wächst. Diese Entwicklung zu beobachten, ist fast noch spannender als die ohnehin dramatische Haupthandlung. Trotz ihrer Fehler wächst einem Jori ans Herz, man leidet mit ihr und bewundert sie für den Mut, mit dem sie der schrecklichen Situation begegnet. Sie zeichnet eine mit Fingerspitzengefühl von der Autorin geschilderte Stärke aus, die sie zu einer besonderen Heldin im Jugendroman macht.
Fünfzig Seiten mehr, dadurch etwas mehr Detailtiefe und ein etwas weniger klischeehaftes Ende hätten dem Roman sicher gut getan. Aber auch so ist "Matchbox Boy" ein packender Psychothriller für Jugendliche, der gut unterhält und dabei nachdenklich stimmt.
Eine Leseprobe findet sich auf der Website des Verlags.