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1920 flieht ein junges Paar vor den Türken aus dem griechischen Izmir nach Amerika. Auf dem Schiff, das sie nach Amerika bringen soll, heiraten sie. Sie verbindet ein Geheimnis, von dem nie jemand erfahren soll.
Jahrzehnte später in New York erfährt die 15jährige Calliope, dass sie ein Junge ist. Sie nimmt den Koffer und die Kleidung ihres Vaters, nennt sich Cal und taucht in San Francisco als Junge unter. Während Cal sich in San Francisco durchschlägt, stürzt der Vater mit dem Auto von einer Brücke und stirbt.
Cal wird durch Zufall einen Tag vor der Beerdigung von seinem Bruder aus dem Polizeigewahrsam in San Francisco abgeholt. Wieder zu Hause, am Bett seiner Großmutter sitzend, will diese ihm das Geheimnis anvertrauen, wenn er verspricht, erst nach ihrem Tod anderen davon zu berichten.
Der Erzähler der Geschichte ist ebenjener Cal, der dem Leser gleich zu Beginn anvertraut: "Ich wurde zweimal geboren: zuerst als kleines Mädchen, an einem bemerkenswert smogfreien Januartag 1960 in Detroit und dann als halbwüchsiger Junge, in einer Notfallambulanz in der Nähe von Petoskey, Michigan, im August 1974." Das Buch erzählt die Geschichte einer Suche nach sexueller und persönlicher Identität, die beginnt, als das Mädchen Calliope merkt, dass sie anders ist als die anderen Mädchen. "Eineinhalb Jahre nachdem Carol Horning mit nagelneuen Brüsten in die Klasse gekommen war", hatte Calliope immer noch keine. "Auch keine Periode." Sie verliebt sich in eine Mitschülerin und Cal nennt diese Mitschülerin später das "obskure Objekt ihrer Begierde".
Aber die Geschichte handelt nicht nur von der Entdeckung Calliopes männlicher Gene, sondern spannt ein Netz in dem vielerlei verwoben ist und das bei der seidenspinnenden Großmutter in Kleinasien beginnt. Über drei Generationen hinweg wird die Geschichte einer Familie erzählt, eingebettet in historische Ereignisse. Ihren Anfang nehmen diese Ereignisse 1920 in Smyrna, als die Türken die Stadt niederbrennen. Die Großeltern fliehen nach Amerika, wo der Großvater in der Autostadt Detroit bei Ford einen Job bekommt. Der Leser begleitet die Großeltern auch während der Prohibition, in einer Zeit also, in der der Großvater den Job bei Ford verloren hat und seine Familie mit einer Schummerkneipe über die Runden zu bringen versucht. Im Detroit der 60er bringen die Unruhen der Schwarzen dem Vater von Cal Glück und der Familie ein Vermögen.
Die Verwebung der persönlichen mit der allgemeinen Geschichte gelingt Eugenides oft, aber nicht immer. Insbesondere die Teile über die Türkei machen einige Längen in diesem Buch aus.
Das Schöne an Eugenides Ich-Erzähler ist seine Allwissenheit, die ihn über seine eigene kleine Sicht der Dinge hinaushebt. Überzeugend schildert er Ereignisse aus der Perspektive seiner Vorfahren. Gerade dieses Allwissende des Ich-Erzählers macht einen guten Teil des Charmes des Buches aus. Der Leser bekommt eine spannende Reise geboten, die durch die Geschichte einer Familie, durch die Geschichte Amerikas und durch die Geschichte Calliopes führt, die zu Cal wird. Dabei geht die Reise nicht immer chronologisch durch die Zeit. Mit Leichtigkeit gelingt es Eugenides zwischen den Zeiten zu springen, ohne dabei den Leser zu verlieren oder zu verwirren. Seine Sprache ist frisch, unverbraucht und unterhaltsam.
Faszinierend ist auch, wie leicht es dem Leser gemacht wird, sich von Calliope zu trennen und die Geschichte mit Cal fortzusetzen. Das sie gegen ein er auszutauschen, erscheint nie als Bruch, sondern ganz natürlich. Das mag vielleicht auch daran liegen, dass bestimmte Ideologien zwar in dem Buch besprochen werden, Cal sich aber keiner dieser Ideologien anschließt.
Eugenides schafft ein buntes und lesenswertes Potpourri. Die angesprochenen Längen halten sich in Grenzen und am Ende des Romans wünscht man sich, er möge weitere 700 Seiten umfassen.