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"Necromancer" ist ein Highlight der modernen Phantastik, angesiedelt in einer viktorianisch anmutenden Welt, in der Zauberei Seite an Seite mit Technik existiert.
Nicholas Valiarde war Mündel des gutmütigen Wissenschaftlers Edouard Viller, der beschuldigt wurde, eine Frau ermordet zu haben, um einen nekromantischen Zauber zu wirken. In Ile-Rien wird Nekromantie, die Kunst der Geisterbeschwörung, mit dem Tode bestraft. Edouard wurde hingerichtet, posthum konnte man jedoch seine Unschuld beweisen.
Seit dem Tod seines Ziehvaters hat sich Nicholas verändert. Er hat eine zweite Persönlichkeit angenommen, die des Meisterverbrechers Donatien, und eine Bande kongenialer Diebe um sich versammelt. Dabei hat er nicht die Absicht, Reichtum oder Macht zu erlangen. Alles, was Nicholas will, ist, den Count Montesq zur Strecke zu bringen, der verantwortlich für die falschen Anschuldigungen gegen Edouard Viller war.
Um dieses Ziel zu erreichen, übt Nicholas mit seinen Komplizen, darunter seine Geliebte Madeline, eine magiebegabte Schauspielerin, und der berüchtigte Dandy Reynard, einen Raubüberfall im Mondollot House aus, bei dem sie jedoch von einem monströsen Geschöpf, einem Ghul, gestört werden. Die Diebe können das Wesen vernichten und unbehelligt mit ihrer Beute entkommen.
Zurück in Could Court, dem Anwesen von Nicholas, wird ihr Triumph von dem Erscheinen des dubiosen Spiritisten Dr. Octave getrübt. Dieser ist Madeline schon einmal durch sein seltsames Verhalten aufgefallen und nun verlangt er von Nicholas zu wissen, was sie in Mondollot House gesucht haben. Als es zu einer Auseinandersetzung kommt, erschießt Madeline den Doktor, doch zurück bleibt keine Leiche, sondern nur ein Häufchen Staub.
Nicholas findet heraus, dass der echte Octave noch immer als Geisterbeschwörer für Adlige sein Unwesen treibt und dass der nächtliche Angreifer nur ein Golem war. Er beschließt, dieser Angelegenheit nachzugehen, und findet heraus, dass Octave im Besitz einer magischen Kugel ist, die Edouard erschaffen hat. Als Nicholas der Frage nachgeht, wie der Doktor an diese Kugel kommen konnte, stößt er auf ein Haus voller grausam entstellter Leichen von Menschen, die offensichtlich für nekromantische Zwecke geopfert wurden. War dies wirklich das Werk Octaves oder zieht ein viel mächtigerer Nekromant die Fäden? Dieses Rätsel muss Nicholas lösen, doch auch Inspektor Ronsarde ist an dem Fall interessiert und ebenso an der wahren Identität von Donatien.
Überaus geschickt schafft es Martha Wells, den Leser ohne eine Einführung mitten in die Handlung zu werfen und erst nach und nach die opulente Welt um ihn herum zu entfalten und die Hintergründe und Motive der einzelnen Figuren zu beleuchten. Das mag auf den ersten Seiten noch etwas verwirrend sein, da man mit einer Vielzahl von Namen konfrontiert wird, jedoch avanciert der Roman in Windeseile zum Pageturner. Denn die Autorin weiß genau, wie sie auf subtile Weise eine nahezu greifbare Spannung erschaffen kann, die bis zur letzten Seite fesselt.
Der Hauptschauplatz des Geschehens, die Stadt Vienne, die an eine Mischung aus viktorianischem England und Frankreich der Vormoderne erinnert, mit klassisch phantastischen Einflüssen wie einem Magierviertel und Steampunk-Elementen wie Gaslampen in den wohlhabenderen Anwesen, ist äußerst plastisch und einnehmend beschrieben.
Die Charaktere sind vielfältig und differenziert, man schließt die illustre Gaunertruppe schnell ins Herz und verfolgt mit Spannung die Entwicklungen, die sie durchmachen, bis sie an ihr Ziel gelangen.
Martha Wells schafft in "Necromancer" eine einzigartige Mischung. Zwar handelt es sich hier um einen Phantastikroman, jedoch um keinen, den man einfach in eine Schublade stecken könnte. Der Leser findet hier ebenso einen rasanten Abenteuerroman, einen düsteren Krimi - nicht zuletzt, weil Inspektor Ronsarde verblüffende Ähnlichkeit mit Sherlock Holmes aufweist - und ein wenig klassischer Mantel-und-Degen-Fantasy.
Die Praktiken der Nekromantie, die nie wirklich ausgeschlachtet, sondern von Wells eher angerissen werden, verleihen diesem ohnehin schon gehaltvollen Genremix noch eine Prise Horror, wie man ihn von Mary Shelleys "Frankenstein" oder den Werken Edgar Allen Poe?s kennt.
Zusammen mit einem flüssigen Erzählduktus und lebendigen Dialogen, die trotz des düsteren Settings oftmals eine humorvolle Note vorweisen, ergibt das einen überzeugenden und unterhaltsamen Roman, den man kaum mehr aus der Hand legen kann.