Im Hamburger Bucerius Kunst Forum ist bis zum 2. September 2012 die Ausstellung "New York Photography 1890-1950 – Von Stieglitz bis Man Ray" zu sehen. Der Hirmer Verlag hat das Begleitbuch zur Ausstellung herausgebracht, das neben dem Katalog zur Ausstellung auch fünf Essays enthält. Diese schließen sich dem Gruß- und dem Vorwort unmittelbar an.
Betitelt "New York und die Photographie als Kunst", "Photographische Tendenzen im New York des Gilded Age", "Straßenphotographie in New York 1890-1950", "Walker Evans und die Kunst des Faktischen" sowie "Einflüsse europäischer Photographie in New York", zeigen sie auf, wie sich die Photographie zunehmend als eigenständige Kunst etablierte und schließlich gerade in New York mit seiner regelrecht in den Himmel sprießenden Architektur, aber auch seinen enormen gesellschaftlichen Gegensätzen, seinem rasanten Wandel Strömungen entwickelte, die bis heute für dieses künstlerische Medium von essenzieller Bedeutung sind.
Die Ausstellung und somit auch der Katalogteil des Buchs ist in zehn Teile gegliedert. Diese spiegeln den Werdegang der Photographie in New York wider mit den Anfängen im Piktorialismus, der sich noch an der Malerei orientierte, den Photographen, die das architektonische Aufstreben der Metropole darstellten, sowie jenen, die sich auf unterschiedliche Weise mit den Menschen in New York befassten und die Street-Photographie als Genre entwickelten. Schließlich folgt die Hinwendung zur Abstraktion, aber auch eine neue Form der künstlerischen Auseinandersetzung mit der Straße, indem etwa Marodes in einen künstlerischen Kontext gestellt oder ein eigentlich untergeordnetes Detail für sich betrachtet wird.
In Ausstellung und Buch sind die Großen jener Zeit versammelt, unter ihnen Alfred Stieglitz, der erheblichen Anteil daran hatte, dass die Photographie sich als eigenständige Kunst ihren Platz erobern konnte, Ansel Adams, Berenice Abbott, Gertrude Käsebier, Walker Evans, Andreas Feininger, André Kertész, Man Ray, Aaron Siskind und Edward Steichen, um nur willkürlich einige von ihnen herauszugreifen. Künstlerbiographien, eine Auswahlbibliographie und weitere Informationen finden sich im Anhang des Buchs.

Schon die gehaltvollen Essays erweisen sich als enormer Gewinn für den ernsthaft an der Photographie und ihrer Geschichte Interessierten. Sie erschließen dem Leser, nicht zuletzt anhand zahlreicher photographischer Beispiele, bestens verständlich jene fulminanten Jahrzehnte in New York, in denen die Photographie sich selbst definierte und sich zu ihren Polen ausdehnte: der reinen Dokumentation und der Abstraktion; aber auch alles dazwischen Liegende fand seinen Platz. Nirgendwo verdichtete sich diese Entwicklung mehr als in New York. Sozialkritische photographische Studien und Widerspiegelungen der Euphorie angesichts der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung folgten auf den Piktorialismus, der sich nicht selten an impressionistischen Bildern orientierte. Die vielfältigen Möglichkeiten, die sich über Verzerrungen, Blendenwahl, unterschiedliche Körnung und andere technische Aspekte ergaben, führten schließlich in die photographische Moderne.
Natürlich erschließen sich die sorgfältig ausgewählten Photos der Ausstellung auch ohne detaillierte Hintergrundkenntnisse. Die meisten haben eine sehr klare Aussage. Doch wirklich würdigen lassen sie sich nur, wenn man die elementaren Stationen des Lebenswegs und der Philosophie des Photographen kennt, ihn in die Tradition seiner Kunst einzuordnen weiß und sich ein Stück weit auch mit der Koevolution von New York und seinen Photographen befasst hat.
Der Katalogteil präsentiert die Photographien ausgesprochen würdig, jede erhält eine eigene Seite und ist in einem angemessenen Format abgebildet. Zu jedem Bild erfährt der Leser den Namen und die Lebens-Eckdaten des Photographen, den Titel des Photos und sein Entstehungsjahr, Material, Originalformat, Eigentümer und Inventarnummer.
Eine großartige Ergänzung zum Ausstellungsbesuch – und wer sich die Ausstellung nicht gönnen kann, findet dank diesem so informativen wie kunstvoll gestalteten Band einen fundierten Einblick und Einstieg in die wohl bedeutendsten Jahrzehnte der Photographie in ihrem kreativen Zentrum, New York.