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Der Fotograf Andrej Krementschouk, 1973 im russischen Gorky geboren, kam 1999 nach Deutschland. In "No Direction Home" stellt er Fotos von Motiven aus seiner früheren Heimat vor, die im November 2009 prämiert wurden.
Im Vorwort würdigt Boris Mikhailov das Werk von Krementschouk. Anschließend kommt Krementschouk selbst zu Wort. Der Künstler spricht aber nicht unmittelbar über Fotografie; er schildert nur in relativ wenigen Worten kurze Erinnerungen aus seiner Kindheit und seiner Zeit als junger Erwachsener. Diese kurzen Episoden lassen im Leser Bilder entstehen. Auf wundersame Weise passen die so aufgekommenen Bilder zu etlichen Fotos im vorliegenden Buch, während andere ihnen auf geradezu herausfordernde Weise widersprechen.
Die Fotografien sind den unterschiedlichsten Genres zuzuordnen. Neben Portraits und Landschaften gibt es auch Stillleben, Interieurs, "Street-Fotografie" und bisweilen ein Tier.
Im Anschluss an die Fotos findet man eine Biografie des Fotografen sowie einen Index. Hier sind sämtliche Fotos noch einmal klein abgedruckt ("Thumbnails") und mit Seitenzahl, Titel, Aufnahmeort und –jahr gekennzeichnet. Denn die eigentlichen Fotos werden ganz ohne Bildunterschriften und sonstige Hinweise präsentiert.
Die ausführlichen Texte liegen auf Englisch, Russisch und Deutsch vor, während die Informationen zu den Fotografien in englischer Sprache verfasst sind.
So vielschichtig und vielseitig, wie sich der Begriff "Heimat" jedem Einzelnen erschließt, in besonderer Weise sicherlich den Immigranten, wirken auch die Fotos in diesem Band. Landschaften wie jene auf dem Titelbild - sie erscheint auch als erste im Hauptteil des Buchs -, die Assoziationen an Maler des 19. Jahrhunderts wie John Constable oder auch den großen russischen Künstler Iwan Schischkin hervorrufen, wechseln sich mit ausdrucksstarken Portraits unterschiedlichster Persönlichkeiten ab: alte, von lebenslanger harter Arbeit gezeichnete Menschen, bisweilen ruhend oder schlafend, Kinder, oft feierlich-ernst, bisweilen auch jüngere Erwachsene. Interieurs und Stillleben repräsentieren das bescheidene, dennoch von Heimeligkeit und Gemütlichkeit geprägte Leben auf dem Lande.
Krementschouk versteht sich auf die unterschiedlichsten Genres und Situationen. Geschickt arbeitet er mit Licht und Gegenlicht, sieht das Stillleben in einer scheinbar alltäglichen Anordnung von Gegenständen, fängt den Charakter von Menschen in völlig spontan wirkenden Portraits ein – und bisweilen ganz starke Gefühle. Da wirkt nichts gestellt, und doch sind die Bilder vom Aufbau her stimmig.
Ein häufig wiederkehrendes Motiv bilden Szenen von Beerdigungen. Dieser Umstand bietet klar erkennbare Interpretationsansätze; mit jedem Verstorbenen wird jedenfalls auch ein Stück Heimat zu Grabe getragen. Einer Heimat, die auch für den Außenstehenden anhand der vielen unterschiedlichen, emotional und häufig ebenso ästhetisch anrührenden Szenen fassbar wird. Der Verfasser des Vorworts vermisst in diesem Buch "das Schmerzhafte und Schreckliche, die wilde Ungezwungenheit und das wahrlich Entsetzliche", die ebenso zum russischen Wesen gehören wie die in "No Direction Home" allgegenwärtige Melancholie und Romantik. Es ist dem Leser überlassen, ob er sich dieser Sichtweise anschließt oder nicht.
Das großzügige, attraktive Album-Format des Buchs kommt den fast ausschließlich im Querformat aufgenommenen Bildern entgegen. Der edel-schlichte Einband, das reflexarme Papier und der Druck sind von hoher Qualität, und auch das zurückhaltende, feine Layout trägt zum sehr ansprechenden Gesamteindruck bei.
Ein zauberhaftes Buch mit Fotografien voller gegensätzlicher Emotionen, kraftvoll und zart zugleich – eine Hommage an das ländliche Russland und seine Menschen.