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In einem noblen, wenn auch verfallenden Londoner Haus wird ein Mordplan geschmiedet, denn der Besitzer des Hauses steht einem Liebespaar im Weg: der hochschwangeren Noch-Ehefrau des Eigentümers und seinem Bruder. Ihre Leidenschaft können die beiden zwar ausleben, zumal der gehörnte Gatte sich mit der Zeit an den Gedanken der Trennung von seiner hübschen Frau gewöhnt hat. Doch die beiden wollen mehr - das aufgrund seiner Lage extrem wertvolle Haus. Die einfachste Methode, um an selbiges heranzukommen, scheint ein Mord zu sein.
Dass es auch noch eine Art unfreiwilligen Dritten im Bunde gibt, nämlich den Fötus, der in Sachen Loyalität zwischen den Stühlen sitzt und sich nichts mehr wünscht, als die schändliche Tat verhindern zu können, ahnen die Verschwörer nicht, während sie gemeinsam die Bewerkstelligung der Tötung überlegen. Freilich sind die Mittel eines Ungeborenen, einen Mord zu vereiteln, recht gering. Und so verfolgt der Sohn des künftigen Opfers in seinem "Gefängnis", wie der perfide Plan heranreift und umgesetzt wird. Aber, wie schon angedeutet, völlig hilflos ist er nicht.
Wer brav den Hamlet gelesen hat, weiß sofort, woran sich Ian McEwan anlehnt, wenn er einen skrupellosen Mann Mordpläne an seinem noblen Bruder, in diesem Fall ein erfolgloser Dichter und Lyrikverleger, schmieden lässt: Zumal wenn eine begehrenswerte Schwägerin und ein Neffe mit im Spiel sind. Dass der Mörder in spe Claude heißt und seine Geliebte Trudy, eine Abkürzung für Gertrude, lenkt die Assoziationen des Lesers gezielt zu Shakespeares berühmtem Drama.
Nur hat McEwan eine sehr ungewöhnliche Erzählperspektive gewählt. Kein erwachsener Sohn erhält die Aufforderung, seinen Vater zu rächen, sondern ein Fötus im Bauch der Mitverschwörerin erlebt das Entstehen des Mordplanes und alles Weitere mehr als hautnah mit. Sein Onkel und seine Mutter möchten seinen Vater töten, um in den Besitz von dessen Londoner Haus zu gelangen, das rund sieben Millionen Pfund wert ist. Dem Fötus, der den Roman wie ein Erwachsener erzählt - immerhin hat er sehr viel Allgemeinbildung aus den Radiosendungen und Podcasts bezogen, die seine Mutter liebt -, wäre es am liebsten, wenn Vater und Mutter wieder zueinander fänden. Für ihn gibt es in der geplanten Konstellation keinen Platz, er entstand ohnehin "aus Versehen". Zudem hasst er seinen Onkel Claude, der vor allem durch Dummheit auffällt, aber offensichtlich im Bett mit gewissen Qualitäten punkten kann - allerdings nicht bei dem jungen Hamlet, den die Liebesakte überhaupt nicht begeistern, die sich gewissermaßen direkt an seiner Schädeldecke abspielen.
Dieser Aspekt lässt auch etwas von der Komik erahnen, die McEwan immer wieder einbringt. Nicht nur, dass der Sex von Mutter und Onkel von dem erzählfreudigen ungeborenen Protagonisten sehr schwarzhumorig geschildert wird, dieser ist dank den Vorlieben seiner Mutter auch ein exzellenter Weinkenner und des Öfteren kräftig beschwipst, wenn Trudy mal wieder ein Glas nach dem anderen leert. Offensichtlich hat sie das im ersten Schwangerschaftsdrittel vermieden, da der Kleine seine Umgebung ausgesprochen gut begreift, aufgeweckt und mit einigem Tiefgang zu sinnieren weiß und jedenfalls keinerlei geistige Schäden aufweist.
Eine beträchtliche Prise schwarzen Humor und allerlei philosophische Überlegungen anbringend, erzählt McEwan oder vielmehr sein größtenteils zu physischer Passivität verdammter, dafür mental umso mehr präsenter Protagonist eine eigentlich sehr dramatische Version der klassischen Hamlet-Konstellation, die unterhält, amüsiert, nachdenklich macht, jedoch auch bestürzt.
Eine Leseprobe bietet die Verlagsseite.
Bei Media-Mania.de ist eine Rezension zu einem weiteren Roman von Ian McEwan, Abbitte, erschienen.