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Claire, Arthur, Violaine und Nicolas besitzen ungewöhnliche Fähigkeiten: Während Claire sich mit ungeheurer Schnelligkeit ungesehen von einem Ort zum anderen bewegen kann, kann Arthur mit seinem phänomenalen Gedächtnis winzige Details verinnerlichen und Einzelheiten wahrnehmen wie sonst niemand. Violaine hat die Fähigkeit, die Aura von Menschen wahrzunehmen, sie zu beeinflussen und den Menschen ihren Willen aufzuzwingen. Nicolas, der Vierte im Bunde, kann mit einer Art Infrarotsicht durch Gegenstände und Wände hindurchsehen.
Ihre Andersartigkeit hat den vier Jugendlichen einen dauerhaften Aufenthalt in einer teuren Schweizer Klinik eingebracht, wo sie zusammen mit anderen psychisch auffälligen Patienten leben. Ihre Eltern haben sie einfach abgeschoben, so dass sie die Klinik nie verlassen können. Die erstaunlichen Fähigkeiten der vier Freunde bringen nicht nur Vorteile, sondern machen die Kinder auch verletzlich: Claire kann fast nicht alleine gehen; andauernd fällt sie hin, stolpert oder stößt sich an Sachen. Arthur wird darüber, dass sein Gedächtnis kein noch so kleines Detail vergessen kann, fast verrückt. Nicolas kann ohne schützende Sonnenbrille nirgendwo hingehen und Violaine wird von furchtbaren Albträumen und Ängsten geplagt.
Als eines Tages ein Psychiater der Klinik von dubiosen Männern entführt wird, tun die vier sich zusammen und beschließen, den Arzt, der der einzige Mensch ist, dem sie vertrauen, zu retten. Sie brechen aus der Klinik aus und machen sich auf eine beschwerliche Reise, nicht ahnend, dass ihnen schon bald der Geheimdienst auf der Spur ist. Diese Odyssee ist nicht nur höchst gefährlich, sie birgt auch ein ungeheuerliches Geheimnis und löst letztendlich das Rätsel, warum Claire, Arthur, Violaine und Nicolas so besonders sind
"Phaenomen", ein Roman des französischen Schriftsteller Erik LHomme, der bereits mit seiner Trilogie "Das Buch der Sterne" auf sich aufmerksam machte, erzählt die spannende und abenteuerliche Geschichte von vier Jugendlichen, die einfach anders sind. Sie besitzen erstaunliche Fähigkeiten, doch anders als in anderen Romanen sind sie keine Supermenschen. Der Autor hat einen großen Schwerpunkt auf die Tatsache gelegt, dass Andersartigkeit eben auch beschwerlich ist, einsam macht, andere verängstigt und viele Fragen aufwirft. Dementsprechend laufen die vier Kinder nicht durch die Gegend und nutzen pausenlos ihre Superkräfte, sondern sie setzen sie eher selten und häufig mit Widerstreben ein.
Ein großes Thema in diesem Roman ist die zunehmende Überwachung unserer Welt. Erik LHomme wirft einen beunruhigenden und scharfen Blick auf eine Reihe von Dingen, die uns vor nicht allzu langer Zeit noch so absurd und fern wie aus einem Science-Fiction-Roman erschienen - die aber längst existieren: etwa das globale Spionagenetzwerk Echelon oder die RFID-Technologie. Mit dieser so genannten Radio Frequency Identification ist es möglich, Gegenstände (und auch Lebewesen) mit Mikrochips zu versehen und ihren Aufenthaltsort dann lückenlos zu bestimmen. Im Roman wird den Kindern dadurch ein gekaufter Schokoriegel fast zum Verhängnis, denn durch die Verpackung können sie auf ihrer Flucht lokalisiert werden. In Zeiten von Datenskandalen, zweifelhafter Speicherung von privater Kommunikation und befürchteter Totalüberwachung durch den Staat ist dies natürlich ein brandheißes Thema, das der Autor gewinnend umgesetzt hat. Der Kontrast zwischen beinharter Realität und den Fähigkeiten der Kinder irritiert manchmal etwas, weil LHomme die Spezialfähigkeiten mitunter ein wenig zu fantasyhaft beschreibt: Wenn Violaine die Aura eines Menschen sieht, dann erscheint ihr diese in Form eines Drachens, den sie mit einem Ritter bekämpfen kann. Und Claire ist überzeugt, eine Elfe zu sein, die aus einer Art Elfenland stammt und die das Leben auf der Erde krank macht.
Die Altersgrenze des Romans scheint mit dem empfohlenen "ab 14" etwas zu hoch gegriffen, weil die vierzehnjährigen Protagonisten sich teilweise doch erstaunlich kindlich verhalten - interessierte Zwölfjährige können dieses Buch auch schon verstehen und werden es mögen. Gewaltfrei ist "Phaenomen" zwar nicht, aber die Gewalt wird nie ausufernd.
Der Roman in drei Teile aufgeteilt: Der erste führt Claire, Arthur, Violaine und Nicolas von der Schweiz nach Frankreich; im zweiten Teil geht es von dort über England nach Südamerika und im dritten Teil sogar auf die Philippinen. Manchmal kann "Phaenomen" die Spannung nicht so ganz aufrecht erhalten und zieht sich dann etwas hin - hier hätte es sich fast angeboten, einen Dreiteiler aus der Story zu machen, so wie dies auch französischen Original gemacht wurde.
Insgesamt ist "Phaenomen" ein gelungener fantastischer Roman, der vier Jugendliche und ihre Suche nach der Wahrheit und ihrer eigenen Identität beschreibt - dabei gibt es zwar die eine oder andere Länge, dies fällt aber nicht so sehr ins Gewicht. Die Themen Kontrolle, Überwachung und Freiheit wurden intelligent und kritisch aufgegriffen und in eine Story verpackt, die von ihren vier "andersartigen" Hauptdarstellern lebt.