Gesamt |
|
Anspruch | |
Aufmachung | |
Gefühl | |
Humor | |
Preis - Leistungs - Verhältnis | |
Spannung | |
Vor über zwanzig Jahren wurde das Buch "Briefe in die chinesische Vergangenheit" ein Bestseller. Es handelt von einem chinesischen Gelehrten aus dem 10. Jahrhundert, der mittels einem von ihm erfundenen Gerät nicht nur tausend Jahre in seine Zukunft, nämlich ins ausgehende 20. Jahrhundert, sondern auch mehrere tausend Kilometer nach Westen verschlagen wird: genau genommen, nach München.
Sein elfjähriger Enkel Huo-bao ist von den Erzählungen des erfolgreich zurückgekehrten Großvaters dermaßen fasziniert, dass er diese rätselhafte Welt auch erleben möchte, insbesondere eine Maschine namens A-tao. Dem aufgeweckten Burschen gelingt die Zeitreise, doch zunächst verstört ihn die Stadt "Min-chen" in "Ba Yan" sehr. Alles ist laut und rasant und hat eigenartige Namen. Immerhin begegnet Huo-bao gleich zwei sympathischen Kindern, die ihm helfen und ihn beim Onkel des einen unterbringen, der zufällig Professor für chinesische Geschichte ist.
Der ihm mögliche eine Monat Aufenthalt reicht natürlich nicht aus, um Huo-bao auch nur mit den Gerätschaften in der Küche halbwegs vertraut zu machen. Die vielen Maschinen mit Knöpfen, die ganz Unterschiedliches bewirken, irritieren ihn sehr, noch mehr freilich Errungenschaften wie "Feng-sen", ein viereckiger Kasten, auf dem Menschen zu sehen und zu hören sind.
Als ihn seine neuen Freunde in die Schule mitnehmen, wirkt er auf den Geographielehrer sogleich verdächtig, denn mit der Landkarte von China, die dieser zeigt, kann Huo-bao überhaupt nichts anfangen. So ist es nicht verwunderlich, dass plötzlich das Jugendamt beim Onkel aufkreuzt. Huo-bao hat nur noch wenige Tage übrig bis zur Vollendung des Monats und versteckt sich mit seinen Freunden in München, nicht jedoch, bevor er ein Fußballspiel angesehen hat, das ihn sehr fasziniert.
Trotz einer abenteuerlichen Verfolgung durch die Polizei gelingt Huo-bao die Rückkehr in seine eigene Gegenwart und Heimat.
Anhand seiner von einem dazu geeigneten Ort aus regelmäßig an einen Freund geschickten Briefe mit allerlei Bildern und sonstigem Anschauungsmaterial kann sich der Leser ein Bild davon machen, wie eine moderne mitteleuropäische Stadt auf einen Jungen aus dem China des 10. oder 11. Jahrhunderts wirken dürfte.
Wer gern "Briefe in die chinesische Vergangenheit" gelesen hat, wird auch Spaß an diesem Buch haben, das sich übrigens grundsätzlich auch für ältere Kinder eignet, denen es Vergnügen bereitet, mit den Augen eines gleichaltrigen Zeitreisenden ihre Welt zu betrachten.
Huo-bao, zur Höflichkeit und Etikette erzogen, hat sich in Anbetracht der Erzählungen seines Großvaters natürlich ein bestimmtes Bild vom München der zweiten Jahrtausendwende gemacht, aber der "Kulturschock" trifft ihn natürlich trotzdem mit voller Wucht. Und diesen Kulturschock, gepaart mit der Neugierigkeit eines Elfjährigen, weiß die Autorin trefflich nachzuempfinden. Faszination, Abscheu und Furcht halten sich zumeist die Waage, nur was Autos angeht, überwindet Huo-bao rasch seine Ängste und lässt sich vom Rausch der Geschwindigkeit mitreißen.
Wenn Huo-bao seinem in der Vergangenheit gebliebenen Freund auch nur von der modernen Kleidung erzählt, kann der Leser das Lachen kaum zurückhalten, insbesondere, als es in zünftiger Tracht auf das Oktoberfest geht, das dem Zeitreisenden übrigens gar nicht gefällt.
Huo-bao setzt Namen und Bezeichnungen in seinen Briefen auf drollige Art in eine Schreibung um, die den Lauten seiner Muttersprache näher kommt. Zum Glück findet man am Ende des Buchs ein Glossar mit diesen Wörtern, die man bisweilen erst erkennt, wenn sie übersetzt wurden.
Das Buch ist mit zauberhaften Kollagen illustriert, in denen die moderne Welt, wie sie sich Huo-bao präsentiert, und chinesische Kunst farbenfroh und kunterbunt ineinander übergehen - wie die sich im Kopf des Jungen überschlagenden Gedanken. Das gesamte Layout ist sehr attraktiv gehalten und macht das Buch auch zu einem aparten Geschenk.
An das "Original" reicht das Buch nicht ganz heran, dafür hat es, wie erwähnt, eine vom Alter her umfangreichere Zielgruppe. Insgesamt ein gelungenes, schönes Buch, das eine tolle Idee aufgreift und geschickt und packend umsetzt.