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 Quellcode


Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Spannung


William Gibson, der Erfinder des Cyberpunk und Autor der genialen "Neuromancer"-Reihe, ist seit einigen Jahren wieder recht fleißig. Nach "Pattern Recognition" ("Mustererkennung") von 2003 erscheint nun ein weiterer Roman aus seiner Feder, in der er dem Geist des Cyberpunk in unserer Gegenwart nachspürt.

"Quellcode" (Originaltitel: "Spook Country") spielt erneut im Hier und Jetzt; im Mittelpunkt steht diesmal die ehemalige Rockröhre Hollis Henry, die nach dem Ende ihrer Karriere als freie Journalistin arbeitet und den technischen Fortschritt unserer Tage in Essays und Artikeln festhält. Ein neuer Auftag führt Hollis nach Los Angeles, wo sie Medienkünstler Alberto Corrales befragen soll. Der widmet sich der sogenannten Locative Art - dem Einfügen dreidimensionaler Grafiken in reale Landschaften, die mithilfe eines Spezialhelms wahrgenommen werden können. Die Überlappung von virtueller und realer Welt ist dabei aber nur der Auftakt und sogleich Symbol für das weitere Geschehen; denn unverhofft wird Hollis in ein undurchsichtiges Spionagespiel hineingezogen, das sich um die großen Konflikte unserer Tage dreht. Es geht um Massenvernichtungswaffen (und die panische Angst vor ihnen), um die verdeckten High-Tech-Kriege der Geheimdienste (und die Paranoia, die sie auslösen), um moderne Piraten in der Straße von Malakka und um dubiose Werbeagenturen, die mal mit der Regierung, mal gegen sie agieren und dabei ihre Kurswerte nicht aus den Augen verlieren. Die "freie Presse" - verkörpert durch Hollis - ist dabei nicht mehr als ein Spielball, Verfügungs- und Operationsmasse, und die Wahrheit alles andere als eindeutig.

Gibson spielt in diesem Roman einmal mehr mit den Elementen des Cyberpunk - wenn auch nur noch in Form des symbolischen Zitats. Tatsächlich ist "Quellcode" keine Science Fiction, sondern eine verblüffende Bestandsaufnahme der Stimmungslage nach dem 11. September 2001, in der die reale Gefahr des Terrorismus und die irreale Angst vor dieser, die längst nicht mehr nachvollziehbaren Datenspuren, die jeder Mensch in der Welt hinterlässt und ihr Missbrauch durch Geheimdienste, die immer enger verzahnten Schicksale zwischen den Industrie- und Entwicklungsstaaten zu einer beängstigenden Melange verschmolzen sind. Die Handlung bleibt dabei ebenso vage wie ihre Auflösung; nichts ist in diesem Verwirrspiel eindeutig, die Wahrheit scheint virtuell zu sein. Gibson erweist sich damit wieder als scharfsinniger Beobachter unserer Tage - auch wenn er riskiert, seine "Neuromancer"-Fans ein weiteres Mal vor den Kopf zu stoßen. "Quellcode" ist nämlich keine leichte, gefällige Lektüre, sondern fordert zum Mitdenken auf und lässt so viele Leerstellen zurück, die den gemeinen Thriller- und SF-Konsumenten überfordern dürften. Alle anderen sollten sich diesen Geniestreich nicht entgehen lassen.

Hagen Hoffmann



Hardcover | Erschienen: 01. März 2008 | ISBN: 9783608937695 | Originaltitel: Spook Country | Preis: 22,50 Euro | 450 Seiten | Sprache: Deutsch

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