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Wenn man einen Gelegenheitsspieler auf sein Lieblings-Zugspiel des neuen Jahrtausends anspricht, so wird man als Antwort höchstwahrscheinlich das populäre Spiel des Jahres 2004, "Zug um Zug" von Alan R. Moon, genannt bekommen. Fragt man einen Hardcore-Zocker das gleiche, wird dieser dagegen aller Wahrscheinlichkeit nach "Age of Steam" von Martin Wallace nennen. Unterschiedlicher könnten die beiden Titel nicht sein: Wo das eine Spiel einen simplen Einstieg und einfache Mechanismen bietet, ist das andere ein knallharter, unerbittlicher und sehr komplexer Wirtschaftswettstreit, der keinerlei Fehler verzeiht. "Railroad Tycoon" dürfte das perfekte Zwischending der beiden Extreme sein, ein Spiel, an dem sowohl Gelegenheits- als auch Profizocker im Rekordtempo ihre Freude finden werden.
Schon die Ausstattung des Spiels wird jeden Spieler unmittelbar in ihren Bann schlagen. 150 kleine, hübsch modellierte Plastikloks finden sich in der großen Schachtel, unzählige Pappsechsecke mit Schienen drauf, jede Menge großer Geldscheine, schön verzierte Aktienzertifikate, viele dicke Pappscheiben, die Bilder der verschiedenen Lokomotiven des Spiels zeigen, Dutzende farbiger Holzwürfel, die verschiedene Waren repräsentieren, viele Plastikmodelle kleiner Andreaskreuze, Wassertanks und Bahnhofshallen und nicht zuletzt ein Spielplan, der einen großen Teil Nordostamerikas zeigt. Mit Ausmaßen von 1,20 x 0.80 Metern kann dieser nur als obszön groß beschrieben werden und dürfte den Tisch jeder studentischen Spielerunde sprengen - man darf sich auf über zwei spaßige Stunden auf dem heimischen Fußboden einstellen!
Alle Teilchen vor sich ausgebreitet zu sehen ist bereits eine Wucht. "Railroad Tycoon" zu spielen ist dann, als ob man sich selbst eine kleine Modelleisenbahn aufbauen würde.
Das Spiel selbst trägt dabei die Lizenz des bekannten PC-Spiels "Railroad Tycoon" von Sid Meier, ist von den Regeln her allerdings eine abgewandelte und stark vereinfachte Version des oben erwähnten Brettspiels "Age of Steam" von Martin Wallace.
Am Anfang der Partie liegt ein noch völlig offener Spielplan vor einem, man kann sich frei entscheiden, wo man sein Eisenbahnimperium aufbaut. Dabei liegt auf jeder Stadt eine bestimmte Anzahl zufällig gezogener Waren, die es in fünf verschiedenen Farben gibt. Viele Städte haben dazu korrespondierende Farben, denn einen Warenstein darf man immer nur in eine Stadt der gleichen Farbe liefern. So gilt es also, stets zu schauen, wo man ein möglichst lukratives Schienennetz errichten kann. Dabei werden freilich einige von den Spielern heiß umkämpfte Gebiete entstehen.
Zu Beginn jeder Runde wird unter den Spielern das Recht ersteigert, als erster dran sein zu dürfen, was vor allem ganz am Anfang ein entscheidender Vorteil sein kann. Mit dem Gewinner der Versteigerung beginnend werden drei Runden gespielt, in der jeder Spieler eine von sechs Aktionen durchführen darf. Beispielsweise kann man Gleise legen und dadurch zwei Städte auf dem Spielplan verbinden, man kann vorhandene Städte industrialisieren und ihnen so eine beliebige Farbe für die Warenlieferung geben, Warensteine liefern und dadurch Punkte machen, sich eine bessere Lokomotive kaufen und so über weitere Strecken liefern, sich eine offen ausliegende Strategiekarte nehmen oder eine besonders teure Verbindung in den Westen Amerikas herstellen, was eine wahre Goldgrube sein kann. Viele dieser Aktionen sowie das Versteigern kosten Geld, zu Beginn des Spiels hat man jedoch überhaupt kein Startkapital. Als Wirtschaftsunternehmen hat man glücklicherweise die Möglichkeit, beliebig viele Aktien zu verkaufen und so Geld in die Kassen zu spülen. Dazu muss man jedoch Schuldscheine aufnehmen, für die jede Runde Dividenden zu zahlen sind und die zu allem Überfluss gegen Ende des Spiels auch noch Minuspunkte bringen.
Hat der letzte seine dritte Aktion für diese Runde durchgeführt, erhalten alle Spieler gemäß ihrer aktuellen Punktzahl ihr Einkommen, das für jeden aufgenommenen Schuldschein jedoch vermindert wird - und wer zuviele Schulden hat, muss sich noch weiter verschulden, um das bezahlen zu können ... Danach beginnt eine neue Runde, in der zunächst wieder um das Recht des Startspielers versteigert wird.
Vor allem bei vielen Mitspielern steht man in "Railroad Tycoon" häufig unter Konkurrenzdruck, stets ist die Gefahr da, dass die anderen einem begehrte Warensteine vor der Nase wegschnappen und über die eigenen Verbindungen wegtransportieren. Zusätzlich bringen noch die Strategiekarten Würze ins Spiel. Diese belohnen beispielsweise Spieler dafür, wenn sie eine Verbindung zwischen New York und Chicago herstellen oder als erste einen Warenstein nach Toronto liefern - ein weiteres Konkurrenzelement. Es gilt, möglichst geschickt zu planen, wie man sein Imperium gewinnbringend weiter ausdehnt und dabei gleichzeitig möglichst flexibel auf die Züge der anderen Mitspieler zu reagieren.
Das Spiel endet, wenn auf einer bestimmten Zahl von Städten keine Warensteine mehr liegen. Dann zieht jeder Spieler von seinen aktuellen Punkten die Zahl der Schuldscheine ab, die er aufnehmen musste. Außerdem deckt jetzt jeder auf, ob er ein geheimes Ziel, was er am Anfang bekam, während der Partie erreichen konnte, was durch den Punktertrag den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage ausmachen kann.
"Railroad Tycoon" ist ein unheimlich vielfältiges und vielseitig beeinflussbares Strategiespiel, das durch die zufällige Anfangsverteilung der Warensteine jedes Mal eine andere Ausgangssituation liefert und einen stets vor harte Entscheidungen stellt, sind die eigenen Aktionen und vor allem das eigene Geld doch stets knapp gesät, die Konkurrenz allerdings jederzeit unerbittlich.
Umso beeindruckender dabei ist, dass die Spielregel bemerkenswert simpel gehalten ist. Auf lediglich acht Seiten werden die Regeln gut strukturiert und bündig erklärt, der Ablauf des Spiels ist sofort einleuchtend. Leider erlaubt sich die deutsche Übersetzung der Anleitung einige garstige Schnitzer - Kenner des Englischen lesen sich besser zusätzlich nochmal die Originalanleitung im Internet durch -, Schreibfehler auf den Karten wie "Neue Staelt gründen" sind auch weniger lustig. Für ein derartig umfangreiches und zeitintensives Spiel - in der vollen Besetzung zu sechst sind drei Stunden das zeitliche Minimum - sind die Regeln jedoch verblüffend einfach, die sich daraus ergebenden Möglichkeiten jedoch umso vielfältiger.
Es macht einfach einen Heidenspaß, die Schienennetze der Spieler auf dem Spielplan wachsen zu sehen, sich endlich die neue Lokomotive kaufen zu können, eine wichtige Verbindung fertig zu stellen und ordentlich Punkte zu kassieren oder einem argen Konkurrenten wertvolle Warensteine wegzuschnappen. Und auch wenn sich während einer Partie die Endplatzierungen meist schon andeuten, so wird sich gegen Ende meist noch ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den beiden Besten ergeben - an Spannung mangelt es "Railroad Tycoon" wahrlich nicht.
Als Anfänger steigt man jedoch meist erst nach einer kompletten Partie dahinter, was kluge und was weniger kluge Züge sind, wirken sich anfängliche Fehler doch auch später noch spürbar aus. Doch einmal gelernt, ergibt sich ein faszinierendes Spiel, bei dem Glück nur eine marginale, die eigene Fähigkeit der Vorausplanung jedoch die entscheidende Rolle spielt.
Bei nur zwei oder drei Spielern ist die Konkurrenz leider nicht so groß, außerdem empfiehlt es sich, einige der Strategiekarten auszusortieren, die das Spiel hier zu schnell entscheiden können.
Wahre Zocker werden wahrscheinlich beim noch eine Ecke komplexeren "Age of Steam" bleiben, auch wenn dies weit weniger hübsch aussieht. Aber vor allem Gelegenheitsspieler, denen "Zug um Zug" zuviel Karten- und zu wenig Zugspiel ist, sollten unbedingt mal einen Blick auf "Railroad Tycoon" werfen. Ein so toll ausgestattetes, ein so komplexes und gleichzeitig so einfaches Spiel stellt eine wahre Seltenheit dar.