Der 13Mann-Verlag hat mit "Rolemaster" ein klassisches Rollenspielsystem herausgebracht, das sich doch sehr von den heutigen Platzhirschen wie DSA und D&D unterscheidet. An der Tabellenlastigkeit von Rolemaster scheiden sich seit jeher die Geister; die durchaus eleganten Regeln von Rolemaster und der simulative Ansatz wissen aber auch heute noch zu überzeugen und heben Rolemaster von der Konkurrenz ab. Offenbar hat auch das neue Rolemaster hierzulande seine Fans gefunden, denn mit dem Charakterhandbuch ist ein weiterer Ziegelstein aus der Reihe erschienen, der vor allem eines beweisen soll: dass sich auch und gerade mit Rolemaster tiefgründige Charaktere erschaffen lassen, die das Spiel tragen.
Wieder einmal überzeugt das Produkt von 13Mann mit einem aufgeräumten Layout, einer hochwertigen Aufmachung (festes Cover und zwei Lesebändchen) und einer überdurchschnittlich guten, modernen Illustration. Was sich auf den 384 Seiten findet, hat es ebenfalls in sich. Unter Verzicht aller ausschmückenden Phrasen, Beitexte und Schnörkel stellen die Autoren (Erik Dewey, Coleman Charlton, John Curtis III, Pete Fenlon und Peter Mork) nahezu alle Aspekte eines Charakters vor: die spielbaren Völker und ihre diversen Berufe - 24 an der Zahl -, satte 56 Ausbildungspakete vom Abenteuer bis zum Gastwirt, und stellen die Talente, Makel und Fertigkeiten vor, mit denen man seinen Charakter ausschmücken kann. Der Ansatz geht dabei mehr in die Breite als in die Tiefe: Jeder Absatz ist angenehm kurz und schwafelfrei gehalten und bietet genügend Raum für eigene Interpretation. Immer wieder werden auch optionale Regeln vorgestellt, die frei nach dem Ansatz "Mach dein Spiel so komplex, wie du es willst" eingesetzt oder weggelassen werden können. Ein kleiner Tabellenteil von 25 Seiten darf natürlich auch nicht fehlen.
Das "Rolemaster"-Charakterhandbuch ist kein Buch zum Lesen oder Schmökern, keine unterhaltsame Bettlektüre oder Fanfutter. Es ist im besten Sinn ein Werkzeugbuch, um seiner Spielfigur Leben einzuhauchen. Was sich hier an Ideen findet, um einen Charakter mit Tiefe, Ecken, Kanten und überraschenden Talenten auszustatten, sucht seinesgleichen - vor allem in Sachen Üppigkeit. Zwar finden sich originelle Ansätze unter den Begabungen oder Fertigkeiten eher selten, aber die Zusammenstellung überzeugt durch ihre Vollständigkeit und den klaren, modularen Aufbau. Das macht das Charakterhandbuch auch für andere Rollenspiele interessant. Selten findet man ein Buch, mit dem sich so rasch und so individuell ein Wunschheld zusammenstellen lässt.
Man muss diesen Ansatz des Buchs freilich mögen. Wer seine "Rollenspielware" etwas barocker schätzt, wird an Rolemaster im Allgemeinen und dem Charakterhandbuch im Besonderen wenig Freude finden; der manchmal hölzerne Stil der Übersetzung ist ein weiterer Kritikpunkt. Aber aus handwerklicher Sicht ist auch dieses Buch ein Volltreffer, und für Rolemaster-Spieler eine absolute Empfehlung.