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Betrachtet man die Rollenspielszene der letzten Jahre, so stellt man fest, dass es neben zahlreichen neuen Regelwerken auch eine Tendenz zur Neuauflage von Klassikern gibt. Ein Klassiker unter den Fantasysystemen ist zweifelsohne Rolemaster, das 1980 erstmals von dem Verlag Iron Crown Enterprises (I.C.E.) veröffentlicht wurde. Aufgrund seiner damals einmaligen Komplexität sowie einer selbst für Rollenspielverhältnisse ungewöhnlich hohen Tabellendichte bekam es sehr bald den eher unrühmlichen Spitznamen "Rulemaster". Die Ansicht, Rolemaster sei zwar ein äußerst realistisches, aber im Gegenzug ungeheuer komplexes Rollenspielsystem, hält sich bis heute. Nachdem es in Deutschland lange Zeit eher ruhig um Rolemaster war, hat der 13Mann Verlag zusammen mit der Sonnenfeste GbR das Grundregelwerk neu veröffentlicht.
Teil I: EinführungAuf den ersten acht Seiten finden sich nicht nur die üblichen Erklärungen zum Thema "Was ist Rollenspiel?", die in jedem Grundregelwerk enthalten sind, sondern bereits die ersten Grundlagen zum Thema Rolemaster. Die wichtigsten Regelmechanismen werden kurz erläutert, unter anderem der Aufbau eines Charakters und das Konzept der Prozentwürfe. Auch ein mehrseitiges Glossar mit den wichtigsten Grundbegriffen ist enthalten sowie eine grobe Übersicht, welche Erweiterungen für das System in näherer Zukunft geplant sind.
Auch als erfahrener Rollenspieler sollte man dieses Kapitel zumindest querlesen, um bestimmte Grundsätze in Rolemaster gleich mitzubekommen.
Teil II: CharaktererschaffungDie Charaktererschaffung ist das zentrale Thema des Grundregelwerks und zählt zu den umfangreichsten und komplexesten Unterfangen bei Rolemaster.
Zuerst wählt man sich aus den fünf vorgegebenen Völkern eines aus: Die fünf im Grundregelwerk enthaltenen Völker sind Menschen, Hochmenschen (zum Beispiel die Dúnedan aus "Der Herr der Ringe"), Waldelfen, Zwerge und Halblinge. Anschließend wird der Beruf ausgewählt. Hier sind neun Berufe im Grundregelwerk erhalten, die wiederum unterteilt sind in Magieunkundige (Krieger, Dieb, Schurke), Reine Magiekundige (Kleriker, Magier, Mentalist) und Teilmagiekundige (Waldläufer, Trickser, Barde).
Volk und Beruf geben dem Charakter bestimmte Boni und Mali auf seine Werte mit auf dem Weg.
Im nächsten Schritt werden die Attribute festgelegt, welche die mentalen und physischen Fähigkeiten des Charakters beschreiben. Der Spieler muss eine bestimmte Anzahl Punkte auf seine Attribute verteilen, wobei jedes Attribut zwischen 0 und 100 Punkten haben darf. Die beiden Primärattribute des jeweiligen Berufes müssen jeweils mindestens 90 Punkte haben. Auf diese Art werden die temporären Attribute festgelegt. Davon abhängig sind die potentiellen Attribute, also die Höchstwerte, die ein Charakter in einem jeweiligen Attribut erreichen kann.
Der nächste Schritt ist die Festlegung der Jugendfertigkeiten. Dabei handelt es sich um Fertigkeiten und Fertigkeitsgruppen, die sich ein Charakter während seiner frühen Lebensjahre angeeignet hat. Daher sind sie auch nicht von dem gewählten Beruf abhängig, sondern von dem gewählten Volk. In diesem Schritt werden auch Hintergrundoptionen erworben, die folgendes bewirken können: zusätzliche Würfe für Attributserhöhung, zusätzliches Geld, zusätzliche Sprachen, besondere Gegenstände oder besondere Boni für Fertigkeiten oder Fertigkeitsgruppen.
Schließlich kommen die Fertigkeiten aus der Ausbildung. Hier gibt es die komfortable Option, aus einer Liste von Ausbildungspakete wählen zu können, die für die einzelnen Berufsklassen unterschiedlich hohe Kosten aufweisen. Bei den Ausbildungspaketen handelt es sich um Abenteurer, Doktor, Einbrecher, Händler, Hobby-Zauberer, Jäger, Kräuterkundiger, Meister des Wissens, Reisender, Ritter, Scout, Soldat, Soldat, Stadtwache, Tierfreund und Unterhalter. Diese Ausbildungspakete unterteilen sich die Kategorien Lebensstil und Beruf, wobei ein Charakter immer nur ein Paket der Sorte Lebensstil erwerben darf.
Auf das Thema Magie dagegen wird in diesem Abschnitt nur kurz eingegangen, da sich die Spruchlisten, über die Magie in Rolemaster abgewickelt wird, im Anhang befinden. Es gibt drei verschiedene Magiebereiche: Essenzmagie. Leitmagie und Mentalismus. Jeder dieser drei Bereiche hat bestimmte "Spezialgebiete", aus denen sich die jeweiligen Spruchlisten herleiten. Jeder zumindest teilmagiekundige Beruf ist einem bestimmten Magiebereich zugeordnet, so sind Magier Essenz-Magiekundige, Kleriker Leitmagiekundige und Barden Mentalismus-Magiekundige.
Teil III: AktionenKennt man den Ruf von Rolemaster, ist man sehr erstaunt, dass die eigentlichen Regeln abseits der Charaktererschaffung im Grundregelwerk nur 26 von 288 Seiten umfassen.
Rolemaster ist aktionenbasiert, jede Aktion nimmt eine bestimmte Menge an Zeit in einer Runde ein, die in Prozent angegeben wird.
Eine Kampfrunde wiederum ist unterteilt in Ansage der Aktionen, Bestimmung der Initiative, Blitzaktionsphase, normale Aktionsphase und überlegte Aktionsphase. Überlegtere Aktionen treten somit erst am Ende einer Runde in Kraft, dafür erhalten sie aber auch Boni beim anschließenden Würfelwurf, während Blitzaktionen mit Mali belegt werden.
Angriffe werden - im Gegensatz zu anderen Systemen - nicht mit separaten Attacke- und Paradewürfen abgehandelt, sondern mit nur einem Würfelwurf. Rolemaster verwendet das W100-System, das heißt, dass zwei zehnseitige Würfel benutzt werden, wobei einer die Zehner- und einer die Einerzahlen festlegt. Ein Wurf besteht somit immer aus zwei geworfenen Würfeln. Auf den daraus erhaltenen Wert wird der Fertigkeitsbonus des Angreifers in der entsprechenden Waffe addiert und anschließend der Defensivbonus des Verteidigers abgezogen. Der abschließende Wert wird auf der jeweiligen Waffentabelle (für jede verfügbare Waffenform gibt es eine Tabelle) nachgeschlagen. Das dort beschriebene Ereignis tritt in Kraft. Ist das Ergebnis zu niedrig, tritt ein Patzer in Kraft und es muss erneut auf der Patzertabelle für die entsprechende Waffenart gewürfelt werden.
Das Wirken von Zaubern funktioniert auf ähnliche Weise, nur geht man hier nicht von einem Offensiv- und Defensivbonus, sondern von dem Fertigkeitsbonus des Zaubernden in dem entsprechenden Zauber aus. Wird ein Charakter von einem Zauber getroffen, muss er üblicherweise einen Widerstandswurf bestehen (gilt auch für Gifte, Krankheiten und Furcht). Der jeweilige Widerstandswert hängt von der Art des Spruches ab, jeder der drei Magiebereichen Essenz, Leitmagie und Mentalismus fordern ein bestimmtes Attribut. Der sich daraus errechnete Wert repräsentiert die Widerstandskraft des Charakters gegen den entsprechenden Magiebereich.
Teil IV: Das System der WeltDie Seiten 71 bis 99 stellen eine Art "Spielleiter-Handbuch
light" dar. Neben grundsätzlichen Aussagen über die Beschaffenheit eines Fantasy-Abenteuers und die Funktionsweise von Fantasy-Welten findet der Leser Tipps zur Gestaltung von Nichtspielercharakteren, der Vergabe von Erfahrungspunkten (kurz: EP) sowie Heilung und Tod.
Erfahrungspunkte werden für die unterschiedlichsten Manöver gegeben, entscheidend ist hier vor allem, welche Routine ein Charakter in einem bestimmten Manöver besitzt. Daher existiert ein EP-Multiplikator, der für das erstmalige Bestehen eines Manövers 5 beträgt, für das zweite Mal 2 und für Routine-Manöver 0,5. Ebenso gibt es natürlich EP für das Fehlschlagen eines Manövers sowie für die unterschiedlichen Ausgänge eines Kampfes. Erfahrene Rollenspieler mögen ob der strengen Reglementierung selbst bei der Vergabe von EP aufstöhnen, doch geben diese Tabellen und Multiplikatoren gute Richtlinien für einen Spielleiter ab. Natürlich bedarf es auch ein bisschen Routine, um die Berechnungen schnell und unproblematisch durchzuführen.
Ein weiterer interessanter Aspekt, der in diesem Kapitel behandelt wird, ist die Verbindung von Körper und Seele eines Charakters. So wird hier auch zwischen Körperschaden und Seelenschaden unterschieden. Entschwindet beispielsweise die Seele aus einem Körper (temporäre Konstitution fällt auf oder unter 0), wird der Körper zu einem Untoten.
Im Großen und Ganzen wirkt dieses Kapitel etwas unstrukturiert, da es allgemeine Meisterinformationen und wichtige Regelinformationen zu EP-Vergabe und Heilung vermischt. Es wäre besser gewesen, die regelrelevanten Abschnitte an den Anfang zu stellen. Da nur ein Lesebändchen in dem Buch enthalten ist, werden gerade Rolemaster-Anfänger nicht umhin kommen, für dieses Kapitel weitere (am besten farblich unterschiedliche) Lesezeichen zu verwenden.
Teil V: AnhängeAuf Seite 101 von 288 beginnen bereits die Anhänge. Was zuerst seltsam anmutet, erklärt sich schnell, wenn man einen Blick darauf wirft. In den Anhängen sind neben den detaillierten Beschreibungen von Völkern, Berufen, Attributen, Fertigkeiten und Ausbildungspaketen auch Ausrüstungslisten, ein kurzes Kreaturenverzeichnis, sämtliche hier benötigten Spruchlisten sowie die Kampftabellen, Charakterbögen und Spielleitervorlagen enthalten. Diese Vorgehensweise ist auf den ersten Blick irritierend, doch sowohl bei Charaktererschaffung als auch beim eigentlichen Spiel wird man diese übersichtliche Aufteilung sehr schnell zu schätzen wissen, da man damit alle relevanten Daten auf einen Blick hat und nicht erst jede Menge Text überspringen muss.
Vergleicht man die alten, englischsprachigen Rolemaster-Veröffentlichungen mit dem vorliegenden Buch, erkennt man, dass der Trend zu qualitativ hochwertigen Produkten im Rollenspielsektor weiter anhält. Das Buch besitzt einen soliden Hardcovereinband und durchgehenden Vierfarbendruck. Text und Illustrationen stehen in gutem Verhältnis, sodass der Leser nicht von einer Bleiwüste erschlagen wird. Auch die zahlreichen Tabellen sind sehr übersichtlich gehalten. Sehr lobenswert ist die Tatsache, dass jeder Tabelle eine Nummer zugewiesen ist. Mühsames Tabellensuchen gehört damit der Vergangenheit an. Auch das obligatorische Lesebändchen ist enthalten. Einziger zu bemängelnder Aspekt bei der Gestaltung des Buches ist der Umstand, dass die Seiten für ein Grundregelwerk etwas dünn geraten sind. Gerade das Basisbuch eines Rollenspiels ist durch häufiges Blättern und Nachschlagen einer sehr hohen Belastung ausgesetzt. Zwar ist das Buch gut gebunden, dennoch wäre ein etwas festeres Papier - auch aus Gründen der Griffigkeit - ratsam gewesen.
Das Rolemaster-Grundregelwerk bietet ein gut ausgewogenes universelles Charaktererschaffungssystem, das mittlerweile sogar einfacher zu handhaben ist als andere etablierte Systeme wie "Das Schwarze Auge". Der große Vorteil liegt darin, dass Rolemaster nicht auf eine bestimmte Welt festgelegt ist, sondern - ähnlich D&D - als ausführliches Universalsystem eingesetzt werden kann. Zwar erscheint die Auswahl von Völkern und Berufen in diesem Grundregelwerk noch sehr eingeschränkt, doch versprechen einerseits die geplanten Erweiterungsbände eine rasche Zunahme der Auswahlmöglichkeiten, und sind andererseits in diesem Buch eigentlich alle relevante Standardvölker und -charakterklassen enthalten.
Rolemaster ist damit eine echte Alternative, die ihren negativ angehauchten Ruf eines "Rulemaster" im Vergleich zu anderen Systemen definitiv nicht mehr verdient. Allerdings muss auch ganz klar gesagt werden, dass Rolemaster kein Anfängersystem ist. Wer zu diesem Regelwerk greift, sollte bereits ein bisschen Rollenspielerfahrung mitbringen oder sich von einem erfahrenen Spielleiter sorgfältig vorbereiten lassen.